Doc. PhDr.  Jaromír  Zeman, CSc.

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Filozofická fakulta Masarykovy univerzity

 

 

Zur Textsorte "Suchanzeige" im Brünner "Wochentlichen Intelligenz-Zettel" vom Jahre 1755.

K textovému druhu "Suchanzeige" v brnìnském "Wochentlicher

Intelligenz-Zettel" z roku 1755

 

Schlüsselwörter:

 

Annotation: Nach einleitenden Bemerkungen zur Entstehung der ersten Brünner Wochenzeitung wird hier der sprachliche Aufbau der darin vorkommenden Textsorte "Suchanzeige" analysiert und beschrieben. Dabei können im Prinzip zwei unterschiedliche Formen festgestellt werden: Erstens eine amtliche Form, die vor allem die Suche nach Delinquenten aller Art (Diebe, Landstreicher, Deserteure, Mörder) bekannt gibt, meistens einen "Haftbefehl" enthält und im komplizierten kanzleisprachlichen Stil mit allen dafür kennzeichnenden Verschachtelungen verfasst ist; zweitens eine wesentlich einfacher formulierte Anzeige, in der der amtliche Ton fast vollständig fehlt - meistens eine "Diebstahlanzeige" mit Warnung vor dem Kauf von Diebesgut und Aufforderung zur Hilfe bei der Aufklärung des Diebstahls. Abschließend wird in dem Artikel auch auf einige territoriale Besonderheiten der Sprache hingewiesen.

 

Anotace: Po úvodních poznámkách ke vzniku prvního brnìnského týdeníku se v èlánku analyzuje a popisuje jazyková výstavba textového druhu "Suchanzeige" (= oznámení o pohøešování). V podstatì lze pøitom rozlišovat dvì rùzné formy: Úøední formu, kterou jsou hledáni delikventi všeho druhu (zlodìji, tuláci, dezertéøi, vrazi) a která vìtšinou obsahuje i "pøíkaz k zatèení" a je sepsána v složitém kanceláøském stylu s jeho komplikovanou syntaktickou strukturou. Dále pak podstatnì jednodušeji formulovaná oznámení, v nichž úøední tón témìø zcela chybí - vìtšinou jde o "oznámení krádeže" s varováním pøed koupí ukradených zvíøat èi vìcí a s výzvou k pomoci pøi jejím objasní. Èlánek závìrem rovnìž poukazuje na nìkteré teritoriální zvláštnosti v jazyce.

 

Zur Textsorte "Suchanzeige" im Brünner "Wochentlichen Intelligenz-Zettel" vom Jahre 1755.

 

1. Einleitung: Die Entstehung der ersten Brünner Zeitung in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

2. Die sprachliche Gestaltung der "Suchanzeige".

3. Einige Bemerkungen zur Sprache der Texte.

 

1. Einleitung: Die Entstehung der ersten Brünner Zeitung in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Die Voraussetzungen für die Herausgabe von gedruckten Wochenzeitungen, wie sie im 17.Jh. in den bedeutendsten Zentren des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in ganz Mitteleuropa existierten, waren im provinziellen Brünn nicht gegeben. Wahrscheinlich gab es hier zu dieser Zeit nicht einmal eine Druckerei.[1] Erst in der Mitte des 18.Jh. brachten es die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung mit sich, dass eine bessere Organisation des Gewerbes, der entstehenden Manufakturen, der bäuerlichen Landwirtschaft und vor allem des Handels ohne das Sammeln und Verbreiten von Informationen und Kenntnissen aus diesen Bereichen nicht mehr möglich war. Die ökonomische Rückständigkeit Österreichs hatte sich ja nicht zuletzt in den Erbfolgekriegen, die der Kaiserin Maria Theresia aufgezwungen worden waren,[2] als fatal erwiesen. Es mussten daher solche Maßnahmen in die Wege geleitet werden, die in ihren Konsequenzen zur ökonomischen Stärkung der Monarchie führten. Eine dieser konkreten Maßnahmen "zu sonderheitlicher Beförderung des Handels / und Wandels", die die Stadt Brünn betraf, war das Erlassen eines vom 25. Oktober 1751 datierten "allerhöchsten Patents"[3] von "Ihro Kayserlich-Königlichen Majestät", der "allerhöchsten Frau und Landes-Fürstin", mit dem bei der "privilegirten Lehen-Bank zu unser lieben Frauen in Brünn" die Errichtung eines Fragamts angeordnet wurde. Dies war eine Art Informationszentrum: Man konnte dort z.B. Auskunft über Besuche von bedeutenden Persönlichkeiten des politischen, kirchlichen, wirtschaftlichen und sogar kulturellen Lebens holen, sich über den Postverkehr, die zu entrichtenden Fracht- und Maut-Gebühren u. dgl. m. informieren.[4] Das Wichtigste jedoch war die Herausgabe von "gedruckten Blättern", "sogenannten Intelligenz-Zetteln", "gleich es bey denen eingeführten Frag-Aemtern zu Wien / Prag / und Augspurg zu geschehen pfleget."[5] Ähnliche - zunächst private, später staatliche - Einrichtungen hatte es seit dem Anfang des 17.Jh. unter dem Namen Adreß- oder Intelligenz-Comptoirs in Europa vielfach gegeben. Diese Comptoirs brachten die von ihnen gesammelten Annoncen für An- und Verkäufe, Vermietungen, Stellenangebote und -gesuche sowie Preisangaben für Hauptnahrungsmittel (sog. "Fleisch- und Brot-Taxen") in solchen "Intelligenzblättern" heraus.[6] Später erschienen darin auch amtliche Verlautbarungen, Gesetze und Verordnungen aller Art.[7] Das Brünner Blatt erschien zum ersten Mal am 5. Juli 1755 unter dem etwas langatmigen, jedoch für die damalige Zeit keineswegs ungewöhnlichen Titel Wochentlicher Intelligenz-Zettel aus dem Frag-Amt der Kayserlich-Königlichen privilegirten Lehen-Bank zu unser lieben Frauen in Brünn. Im Laufe der Zeit - dies sei hier nur nebenbei bemerkt - hatte es zwar natürlich sowohl den Namen etliche Male geändert als auch den Herausgeber gewechselt, es bestand jedoch als Brünner Zeitung bis zum Jahresende 1921.[8] Infolge seiner von Wien aus angeordneten Gründung hatte es amtlichen Charakter, und seine Inhaber waren im 18.Jh. durch das kaiserliche Privileg vor der Konkurrenz geschützt. Für andere Blätter und Zeitschriften war es hingegen in dieser Zeit - praktisch bis zum Ende des Jahrhunderts - sehr schwer, sich neben dem etablierten Intelligenz-Zettel zu behaupten - nicht zuletzt auch, weil der Leserkreis nur klein und in Bezug auf seine Interessen kaum differenziert war; daher sind sie alle - die meisten nach wenigen Nummern - wieder eingegangen.

 

2. Die sprachliche Gestaltung der Suchanzeige.

Das Erscheinen des Intelligenz-Zettels wurde einen Monat vorher durch ein Avertissement, eine Art Reklameblatt, angekündigt, das die Herausgeber in 600 Exemplaren an verschiedene Regional- und Obrigkeitsämter verschickt hatten.[9] Das Avertissement zählte zehn Punkte auf - Sachen, über die der Zettel regelmäßig informieren wollte. Aus diesen zehn Rubriken, die sich übrigens in jedem Heft des ersten Jahrgangs gleich unter dem Titel des Blattes als Inhaltsangabe wieder finden, ergeben sich weitgehend auch die entsprechenden "Textsorten". Die "Suchanzeige" allerdings erscheint in ihren verschiedenen Varianten - entsprechend der Natur des Gesuchten - in mehreren Rubriken.

Als den Prototyp einer Suchanzeige wollen wir die "Vermisstenanzeige" betrachten. Ein Beispiel dafür liefert Rubrik 8 (= Octavò allerhand Avertissements, und Nachrichten) der Nummer 9, vom 30. August 1755:

Von Prag aus wird anhero zur Publication communiciret, daß ein sicherer- aus dem Reich gebürtiger Mensch, der zu Prag Burger worden, und sich daselbst Johann Treller nennen lassen, dessen rechter Nahme zu Dato aber daselbsten annoch unbekannt, seiner Profession ein Schuster, da er den 28.ten Julii letzthin als würklicher Bräutigam um 9.Uhr zur Copulation sich hätte verfügen sollen, nach- unter dem Vorwand einiger Verrichtung genohmenem Urlaub von seiner Braut, sich geflüchtet habe, ohne daß man weiß warum? wohin? oder was seine Geschäften gewesen. Wann nun dieser Mensch, welcher langer Person, brauner Haare, länglichter Nasen, mit einem neuen braunen Mantel (den ihme seine Braut ausgeborget hat) grauen Kleide, schwarzen Bein-Kleidern, und silbernen runden Schuch-Schnallen versehen ist, etwa hier Landes ausfindig gemacht werden könnte, so würde solches beliebig anhero anzuzeigen seyn, um da mehr als die Braut solchenfalls mit einer Discretion sich einzustellen, versprochen hat.

Diese Anzeige besteht im Prinzip aus zwei bzw. drei Teilen, wobei allerdings der einleitende Hauptsatz (Von Prag aus wird anhero zur Publication communiciret,) sehr kurz ist. Nähere Angaben zur Person des Vermissten, die Umstände seines Verschwindens u. dgl. liefert der Nebensatz (daß-Satz als Objekt), der vielfach durch Appositonen, Einschübe und Nebensätze erweitert ist. Der zweite Teil ist ein konditionales Satzgefüge, wobei der Konditionalsatz einen Relativsatz mit einer genauen Beschreibung der Person des Vermissten enthält, der Hauptsatz wiederum ist eine Aufforderung, gegebenenfalls etwas In-Erfahrung-Gebrachtes im Fragamt zu melden.

Viel häufiger allerdings als abhanden gekommene Bräutigame wurden Verbrecher, Deserteure und gestohlene Pferde gesucht. Die Suchanzeigen von solchen straffällig gewordenen Personen - Landstreichern, Dieben, Räubern und Mördern sowie den bereits erwähnten Deserteuren - finden sich gleich in der ersten Rubrik. (= Primò alle kundgemachte Patenten / Anordnungen / Edicta und Notificationen.) Es handelt sich nach unserer Meinung um im Kanzleistil verfasste "Steckbriefe". Der Satzbau ist sehr kompliziert und undurchsichtig - bei aller Kompliziertheit jedoch grammatisch immer korrekt. Ein kurzes Beispiel, das allerdings wegen seiner Kürze und relativen Einfachheit bereits ein wenig untypisch ist, soll dies verdeutlichen:[10]

Imò: Unter dem 11.ten currentis hat eine Hoch-Löbl. Kayser-Königl. Repraesentation, und Cammer im ganzen Lande zu publiciren befohlen: daß einem gewissen, aus dem- zur Herrschaft Hauenstein in Böhmen gehörigen Dorf Stolzenhau gebürtigen, und flüchtig gewordenen Becken- und Müller-Gesellen, namens Erasmus Siegl, auf welchen ein gegründeter Verdacht des- an dem- in Weipert befindlich gewesten burgerlichen Beck- und Müller-Meister Franz Dick, durch einen Schuß verübten Mordes geworfen wird, aller Orten genau nachgeforschet, selbiger in Betretungs-Fall handfest gemachet, und dem nächsten Hals-Gericht übergeben, der Erfolg aber an ersagte hohe Landes-Stelle einberichtet werden solle.

Dieser Erasmus Siegl ist dürrhager, mittler Statur, bleichen Angesichts, linder Sprache, gegen 36. Jahr alt, und trägt ein Himmel-blaues Kleid.

Der Text enthält einen "Haftbefehl", der die Form eines Nebensatzes (eines Objektsatzes) hat: daß ... solle. Über Herkunft und Flucht der gesuchten Person erfahren wir durch die der Berufsbezeichnung Becken- und Müller-Gesellen - syntaktisch als Dativobjekt - vorangestellten attributiven Konstruktionen. Der Eigenname Erasmus Siegl folgt als Apposition. Die Begründung der angestrebten Festnahme wird im folgenden attributiven Relativsatz geliefert. Vier koordinativ verbundene, durch ihre zugehörigen Satzglieder jeweils erweiterte infinite Prädikatsteile als Partizipien II (nachgeforschet, handfest gemachet, übergeben, einberichtet) beziehen sich auf den Infinitiv des Passivs werden, der von der Personalform des Modalverbs solle regiert wird. Die Personenbeschreibung, die in unserem Beispiel dem Haftbefehl folgt, ist hier verhältnismäßig einfach formuliert. Bei dieser Textsorte ist sie in den meisten anderen Fällen viel detaillierter gehalten und mitunter trotzdem noch in das Ganze als Relativsatz integriert; z.B.:[11]

... daß die nöthige Vorkehrung gemachet werden solle, damit dieser Flüchtling (welcher klein von Person, braunlichten Angesichts, castanien-brauner Augen, und Haaren, mit einer gespitzten Nase, und weitem Mund, zur Zeit seiner Entweichung mit einem aschenfarben tüchenen Kleid, mit goldenen Knöpf-Löchern, gelbledernen Hosen, und viereckigten Prinz-metallenen Schuch-schnallen versehen ware) auf betreten handfest gemachet, und dem behörigen Criminal-Gericht überliefert, die- bey ihm findende entfremdete Sachen aber in sichere Verwahrung genommen, dann über den Erfolg an ersagte hohe Landes-Stelle die Anzeige gemachet werden solle.

Solche syntaktischen Strukturen lassen sich - das geht aus unseren Beispielen klar hervor - beim Lesen nicht mehr gedanklich nachvollziehen, denn die subjunktionale Klammer ist überspannt, der Nebensatz durch die zahlreichen Reihungen und Erweiterungen überladen und das Kurzzeitgedächtnis des Lesers dadurch überfordert. Ein solches syntaktisches Gebilde konnte wahrscheinlich auch von den Zeitgenossen nicht in seiner Gesamtheit erfasst werden - man verstand die Teilstrukturen - und die logischen Zusammenhänge, die eigentlich die syntaktische Gesamtstruktur vermitteln müsste, ergaben sich für den Leser aus der Welt- und Sachkenntnis. Für diese Annahme spricht übrigens auch der Umstand, dass die Personenbeschreibungen - sicherlich der besseren Verständlichkeit wegen - später der "steckbrieflichen" Anzeige - sogar mit eigener Überschrift versehen - nachgestellt wurden; z.B. im Fall eines gewissen "Georg Snopeck, eines Milotitzer-Herschaft-Unterthanen", der einen Revier-Jäger angeschossen hatte, als dieser seine beiden Söhne "unter das Land-Ständische Recrouten-Contingent abliefern wollte".[12]

Der Text lautet wie folgt:

4tò: Verfügete mehr- hoch- ermeldte Landes-Stelle unter vorgedachtem dato in allen hier- ländigen Creisen kund zu machen, was massen Georg Snopeck, der Milotitzer-Herrschaft-Unterthan, nebst seinen beyden Söhnen, als man letztere wegen zeithero an denenselben wahrgenommen- frech- ausgelassener Aufführung unter das Land-Ständische Recrouten-Contingent abliefern wollte, sich gewalt- thätig widersetzet, und den dasigen Revier-Jäger durch einen Schuß verwundet, sonach aber dieselben die Flucht ergriffen hätten;

Wessentwegen dann die ferner- weitig- hohe Verordnung ergienge, daß, diesen vermessenen Thätern aller Orten fleissig nachgeforschet, selbte auch im Betretungs-Fall handfest gemacht - und dem nächsten Hals-Gericht ad formandum Processum criminalem übergeben, der Erfolg aber hoch-mentionirter Landes-Stelle einberichtet werden solle.

Nach diesem "Haftbefehl" folgt - mit eigener Überschrift in großen Buchstaben - die detaillierte Personenbeschreibung:

 Beschreibung des Milotitzer Herrschafts- in dem Dorf Mystržin gebürtigen Unterthans Georg Snopeck, und dessen beyder Söhne:

Der Vater Georg Snopeck ist bey nahe 50. Jahr alt, eines mageren- etwas blatermasig- lang- schwarz- bleichen Gesichts, trägt einen Schnautz-Bart, hat schwarze Augen, deto braunen Bart, und Hare, ist etwas bucklicht, mitterer Statur; Dessen Kleidung bestehet in einem Slawackischen Pelz, deto Szirak, oder Hut, und Hemde, blauen Nohawitzen, oder Unterkleidern, dann ordinari Stiefeln, und ist am Leib mit einem gelblicht- Hirsch- häutenen Riemen umgürtet.

Dessen älterer Sohn Paul, bey nahe 22. Jahr alt, von glatt- bleich- runden Angesicht, schwarz- kurz- geschnittenen Haren, und schwarzen Augen, mittelmässiger Statur; traget eine Slawackische Halina, deto Hemde, dunkel- blaue Nohawitzen, hungarische Tschischmen, führet bey sich Schwantczar und Pistolen, beynebst ein so genannt- Salvatoris Bruderschafts-Zeichen.

Der jüngere Sohn, Namens Johann, ist ungefehr 19. jährigen Alters, von lang- rotlichten Angesicht, schwarz- braunen Augen, deto kurz- geschnittenen Haren, hoch von Statur, mit einer Slawackischen Halina, deto Hemde, und Szirak, oder Hut, dunkel- blauen Hosen, und hungarischen Tschischmen gekleidet, mit einem Riemen gegürtet, führet beynebst eine Schrot-Büchse, sammt Pistolen, mit welch- ersterer er den Sobulker- Revier-Jäger blessiret hat.

An diesem Text kann man beobachten, dass der eigentliche "Haftbefehl" zwar wiederum einen komplizierten syntaktischen Aufbau aufweist - mit zahlreichen hypotaktischen Konstruktionen, wie sie sich im Kanzleistil während seiner jahrhundertelangen Tradition herausgebildet hatten, dass jedoch die Personenbeschreibungen verhältnismäßig einfach formuliert wurden und daher wohl ohne weiteres auch für weniger sprachlich geschulte Leser leicht verständlich waren. Das entsprach vermutlich besser dem Zweck, den man mit diesen Anzeigen verfolgte: Durch solche Informationen sollten sicher möglichst breite Kreise der Bevölkerung zur Zusammenarbeit mit den Behörden und Beteiligung an der Suche nach den Deliquenten veranlasst werden.

Die Suchanzeigen, die helfen sollen, gestohlene Pferde - womöglich samt dem Dieb - ausfindig zu machen, weisen formal die gleiche sprachliche Struktur auf wie die "steckbrieflichen Anzeigen". Sie stehen auch in der ersten Rubrik (= I. Die kundgemachte Patenten, Anordnungen / Edicta, und Notificationen.) und sind ebenfalls im Kanzleistil abgefasst; vgl. den folgenden Text:[13]

3tiò: Geschahe auf die- unterm 8.ten dieses, von oftermelter hoher Landes-Stelle erfolgte Circular - Verordnung, im ganzen Lande die Publication, daß, nachdeme dem Wenzel Pržidal, zur Stadt Proßnitz gehörig, unterm 15ten Julii letzthin, eine Rappete neunjährige Stutte, so ohne Zeichen, mittelmässiger Höhe, wohl ramassiret, und bey gutem Leib, vor incirca 3. oder 4. Wochen aber die Feibl gehabt, und daran annoch zu erkennen seyn dörfte, von der Hutweyde gestohlen worden, auf diese entfremdete Stutte aller Orten, wo solche entweder verkaufet worden, oder annoch zum Verkauf gebracht werden dörfte, die genaueste Nachforschung gehalten, und wann wider jemand diesfalls ein hinlänglicher Verdacht hervorbrechen würde, derselbe alsogleich handfest gemachet, und wohl verwahret, sodann zu weiterer Vorkehrung, der Erfolg an das Kayser-Königl. Tribunal, und Ober-Appelations-Gericht berichtet werden solle.

Eine einfacher formulierte Anzeige dieser Art - es werden damit nämlich auch gestohlene Pferde gesucht - findet sich hingegen in der Rubrik 7 (= Was gestohlen, verlohren, und gefunden wird.) gleich in der ersten Nummer des Intelligenz-Zettels vom 5. Juli 1755:

3tio Seynd dem Joseph Guržina aus dem Dorf Topolna Napajedler Herrschaft, vor etwa 3. Wochen, nächtlicher Weile von der Hutweyd entfremdet worden: Ein mittelmässiger Roth-Schimmel, so bey 7. Jahr alt, und ein Wallach; Sodann ein licht-brauner-Wallach, so gegen 10. Jahr alt, und auf dem rechten Aug blind ist.

Sollten nun diese beschriebene Diebstähle ein- oder anderen Orts zum Verkauf feil gebothen- oder in andere Weege ersehen, und erkannt werden, so wird ein jeder nicht nur sich solche zu kaufen, hüten, sondern vielmehr die Sache bey der Orts-Obrigkeit zu weiterer Fürkehr anzuzeigen wissen.

Hier kann vielleicht auf Grund formaler Unterschiede auch eine andere Textsorte angenommen werden: Zunächst ist es auffällig, dass sozusagen der amtliche Ton einer behördlichen Anordnung darin vollständig fehlt: Es wird nicht - wie im vorhergehenden Text - die Festnahme des Diebes bzw. Hehlers durch eine Landesbehörde angeordnet, sondern die Leser werden lediglich von dem Diebstahl in Kenntnis gesetzt, vor dem eventuellen Kauf der gestohlenen Pferde gewarnt und zur Hilfe bei der Aufklärung des Diebstahls aufgefordert. Dementsprechend inoffiziell ist auch die Formulierung, die sich wiederum in einer viel einfacheren syntaktischen Struktur äußert. Eine solche Form weisen alle Meldungen in dieser Rubrik auf, die über vorgefallene Diebstähle aller Art informieren; z.B. über einen nächtlichen Einbruch in einer Brünner Kapelle des heiligen Franciscus Xaverius und die dabei entwendeten Gegenstände.[14] Man könnte diese "Textsorte" vielleicht als "Diebstahlanzeige" bezeichnen.

Auf dem Hintergrund dieser "funktional verwandten Textsorte" lässt sich die oben besprochene "Suchanzeige" folgendermaßen beschreiben:

Der einleitende Hauptsatz enthält das Datum und nennt die Institution (etwa: eine Hoch-Löblich Kayser-Königl. Repraesentation, und Cammer oder: eine hohe Landes-Stelle), die die "Suchanzeige" bzw. - da es sich ja in den meisten Fällen um Deliquenten handelt - den darin enthaltenen Haftbefehl erlässt. Lediglich bei der oben angeführten "Vermisstenanzeige" bleibt diese Institution anonym (Von Prag aus ...). Dann folgt ein Nebensatz (eingeleitet durch: daß, nachdeme, damit, was massen u.dgl.), der vor allem die Personalien enthält und in dem auch der Anlass für die Suche nach der betreffenden Person genannt wird. Syntaktisch handelt es sich um komplizierte Verschachtelungen von hypotaktischen Konstruktionen, asyndetische und syndetische Reihungen sowie appositive Elemente. Der Nebensatz endet, da er immer auch die Aufforderung zur Festnahme des Gesuchten enthält, mit der Verbalform solle (= 3. Pers. Sg. Konj. Präs.). Die einzige Ausnahme ist wiederum die Vermisstenanzeige, in der die Aufforderung mit Hilfe des modifizierenden Verbs seyn formuliert ist: so würde solches beliebig anhero anzuzeigen seyn. Die Personenbeschreibung ist entweder in die Satzstruktur integriert oder sie wird - wohl der besseren Verständlichkeit wegen - in einem neuen Abschnitt gewissermaßen nachgeliefert. Die komplizierte syntaktische Strukur ist ein stilistisches Merkmal, das den offiziellen Charakter dieser Textsorte deutlich zum Ausdruck bringen soll. Die Suchanzeigen sind alle nach einem einheitlichen Muster abgefasst, das nur geringfügig variiert, und somit konstituieren sie eine eigene Textsorte, die formale Kennzeichen mit Funktion und Inhalt verbindet. Mit Ulrich Engel formuliert: Einem speziellen Ziel entspricht hier bei einer gegebenen speziellen Konstellation auch eine spezielle Ausdrucksform.[15]

 

3. Einige Bemerkungen zur Sprache der Texte.

Eine gründliche sprachliche Analyse war nicht das Thema unseres kurzen Beitrags. Wir haben uns vor allem bemüht, die wesentlichen stilistischen Züge der oben besprochenen Textsorte nach Möglichkeit klar herauszustellen. Doch lassen sich hier bereits auf Grund der oben zitierten Texte einige Bemerkungen zur Sprache des Intelligenz-Zettels machen. Etliche Besonderheiten finden sich zudem in anderen Rubriken.

Die Sprache unserer Zeitung - dies muss natürlich zunächst ganz allgemein festgestellt werden - ist die Sprache des 18. Jahrhunderts. Vom Standpunkt der Gegenwartssprache kann man alle Erscheinungen, die mit der heutigen Norm nicht übereinstimmen und daher auffällig wirken, zunächst in zwei Gruppen einteilen:

1. Erscheinungen, die den damaligen Entwicklungsstand der Sprache widerspiegeln.

2. Territorial gebundene, also bairisch-österreichische Eigenheiten.

Wir müssen uns hier nur mit einer knappen Aufzählung der Phänomene aus beiden Gruppen begnügen:

1. Zu der ersten Gruppe gehören die oben bereits besprochenen syntaktischen Besonderheiten, also die komplizierten Klammerungen bzw. Verschachtelungen, die wohl sicher als "textsortenspezifisch" zu betrachten sind und keine territoriale Eigentümlichkeit darstellen.

Auch die starke Deklination der Adjektive im Nominativ und Akkusativ Plural nach dem bestimmten Artikel sowie einigen Pronomina gehört hierher:

 Die kundgemachte Patenten, Anordnungen / ... (N. Pl.)

 diese beschriebene Diebstähle (N. Pl.)

 alle kundgemachte Patenten / Anordnungen /... (N. Pl.) ihre junge Töchter (Akk. Pl.)

Der bestimmte Artikel hat im Genitiv und Dativ Plural die erweiterte Form wie das Demonstrativ- bzw. Relativpronomen in der Gegenwartssprache:

 an Verführung derer Soldaten (G. Pl.)

 In einer derer wohlgelegensten Haupt-Gassen dahier (G. Pl.)

 von denen Buchdruckern (D. Pl.)

Vgl. auch:

 wegen zeithero an denenselben wahrgenommen- frech- ausgelassener Aufführung

Die Endung e in der 3. Pr. Sg. Ind. Prät. der starken Verben; vgl. oben in den Textbeispielen: Geschahe, versehen ware.

Außerdem:

 2dô: Nicht minder ergienge von einer Hoch-Löbl. Kayser-Königl. Repraesentation, und Cammer unterm 25.ten passati der Circular- Befehl, daß,...

2. Als bairisch hingegen gelten die Formen der 3. Pr. Sg. Ind. Präs. ohne Umlaut:

 tragt, traget

Sie kommen neben der umgelauteten Form trägt im selben Text vor; vgl. oben.

Typisch bairisch sind nach H. Paul die schwachen Konjunktivformen des Präteritums bei starken Verben. In unseren Texten haben sie den Vokal des Präsens:[16]

 falls aber ein Feyertag einfallete,

 da es aber Sachen von Wichtigkeit betreffete,

In diesem kurzen Überblick können nur die auffälligsten Besonderheiten, die sich in unseren Texten finden, aufgeführt werden. Schwer zu beurteilen sind allerdings die gelegentlich vorkommenden Schwankungen der Rechtschreibung: genohmenem mit Dehnungs-h neben regelmäßigem genommen mit Doppel-m, Stutte mit Doppel-t u.Ä. Sind solche Entgleisungen wohl phonetisch bedingt?

Hingegen sind die im Bereich des Umlauts gegenüber der Gegenwartssprache auftretenden Unterschiede sicher regional; z.B. umlautlose Formen:

den nutzlichen Fortgang; das erste Wochen-Stuck; burgerliches Haus; dem Verkaufer; an der Brucken.

Dagegen stehen umgelautete Formen: von ziemlich langer- etwas mägerer Statur; an gewissen Tägen; einen Bedienten, so deutsch und böhmischer Sprache kündig; und deto färbigen Rock.

Archaische Formen, die auf Unterbleiben oder Durchführung der Synkope und Apokope zurückzuführen sind, kommen noch relativ häufig vor: so oft eine Abänderung ... geschiehet; wen sie hierzu benennet; deren mehrere von jeglicher Gattung beygeschaffet; Ein paar wollene rothe Strümpf; in der Französischen Sprach.

Selbstverständlich finden sich viele Archaismen und Regionalismen im Bereich der Lexik:

die bey sich gehabte Pinkeln [= Bündel]; Ein Gebeth-Büchl mit einem Rosen-Cranz; Ein weiß barchetenes Manns-Leibl mit weiß zwirnenen Knöpfeln; 4. Stuck Hals-Bindln, mit dazu gehörigen weissen Streifln; Zwey Schuch-Bürsten mit Wix.

Es stellt sich außerdem die Frage, ob sich in den Texten irgendwelche Einflüsse des Tschechischen feststellen lassen.

In den Personenbeschreibungen von Georg Snopeck und seinen beiden Söhnen kommen einige Male slawische Bezeichnungen von Kleidungsstücken vor, die allerdings "vorsichtshalber" fast jedes Mal durch ein deutsches Äquivalent erklärt werden:

 Dessen Kleidung bestehet in einem Slawakischen Pelz, deto

 Szirak, oder Hut, und Hemde, blauen Nohawitzen oder Unterkleidern,...

 traget eine Slawakische Halina, deto Hemde, dunkel-blaue Nohawitzen,...

 mit einer Slawakischen Halina, deto Hemde, und Szirak, oder Hut, dunkel-blauen Hosen,...

Vielleicht beruht auch die Verwendung von ein sicherer im Sinne von ein gewisser auf dem Einfluss des Tschechischen.

 Nachdeme ein sicherer, aus der Stadt Eger in Böhmen gebürtiger Mensch, dessen Tauf-Namen Anton,...

 ... von einer sicheren Herrschaft in Preßburg ...

Das letztere findet sich auch, scheint aber etwas seltener vorzukommen; vgl. das bereits oben zitierte Beispiel:

 ... einem gewissen, aus dem zur Herrschaft Hauenstein in Böhmen gehörigen Dorf Stolzenhau gebürtigen, und flüchtig gewordenen Becken- und Müller-Gesellen, namens Erasmus Siegl, ...

Abschließend kann festgestellt werden, dass die Sprache des ersten Jahrgangs unserer Zeitung trotz aller Ausgleichstendenzen immer noch deutlich territorial - ja zum Teil sogar regional - gebundene Charakteristika aufweist.

 

 

Literaturverzeichnis

 

Zeitungen

Wochentlicher Intelligenz-Zettel aus dem Fragamte der Kayserlich-Königlichen privilegirten Lehen-Bank zu unser lieben Frauen in Brünn. 1. Jahrgang, 5. Juli - 31. Dezember 1755; Hrsg.: Fragamt der k.k. Lehenbank, Brünn; Wochenzeitung. (Vgl. KUBÍÈEK (2001), S. 297; Nr. 2113; Signatur der Mährischen Landesbibliothek Brünn: Nov-9 058)

 

Fachliteratur

 

ENGEL, Ulrich (1996): Deutsche Grammatik. - 3., korrigierte Auflage. Heidelberg: Groos. ISBN 3-87276-752-6

KUBÍÈEK, Jaromír (2001): Noviny a èasopisy na Moravì a ve Slezsku do roku 1918. Literatura a prameny, sbírky, bibliografie. Moravská zemská knihovna v Brnì 2001. [= Zeitungen und Zeitschriften in Mähren und Schlesien bis zum Jahre 1918. Literatur und Quellen, Sammlungen, Bibliographie. Mährische Landesbibliothek in Brünn2001.]ISBN8070511338(MZK)

KUBÍÈEK, Jaromír / ŠIMEÈEK, Zdenìk (1976): Brnìnské noviny a èasopisy od doby nejstarší až do roku 1975. Universitní knihovna, Archiv mìsta Brna - Musejní spolek. Brno 1976. [= Brünner Zeitungen und Zeitschriften von der ältesten Zeit bis zum Jahre 1975. Universitätsbibliothek, Archiv der Stadt Brünn - Museumsverband. Brünn 1976.]

LINDEMANN, Margot (1969): Deutsche Presse bis 1815. Geschichte der deutschen Presse, Teil I. In: Abhandlungen und Materialien zur Publizistik. Hrsg. von Prof. Dr. Fritz Eberhard, Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin; Bd. 5; Colloquium Verlag Berlin 1969.

PAUL, Hermann (1959): Deutsche Grammatik. Bd.2; 6. Auflage; VEB Max Niemeyer Verlag. Halle (Saale) 1959.

ŠIMEÈEK, Zdenìk (1999): Èasopisy a jejich rozšiøování na Moravì do poèátku 19. století. Sborník k 80. narozeninám Mirjam Bohatcové. Vydala Knihovna Akademie vìd Èeské republiky. Praha 1999, str. 333-346. [= Zeitschriften und ihre Verbreitung in Mähren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Sammelband zum 80. Geburtstag von Mirjam Bohatcová. Hrsg. von der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Prag 1999, S. 333-346; Deutsches Resümee von H.Boková.]ISBN80-902262-3-X

TUPETZ, Dr. Theodor (1912): Allgemeine und österreichische Geschichte. In: Hilfsbücher zur Vorbereitung für die Bürgerschullehrerprüfung, I. Bd.; Verlag von F. Tempsky, Wien 1912.

 

Bibliografický údaj: ZEMAN, J. Zur Textsorte "Suchanzeige" im Brünner "Wochentlichen Intelligenz-Zettel" vom Jahre 1755 (pøijato do tisku)



[1]Vgl. KUBÍÈEK/ŠIMEÈEK (1976), S. 197, Anm. 2. Demnach fehlen geschichtliche Zeugnisse für ihre Existenz; bekannt sind nur nichterledigte Gesuche um ihre Errichtung.

[2]Vgl. KUBÍÈEK/ŠIMEÈEK (1976), S. 27; außerdem TUPETZ (1912), S. 402 ff. (1. Schlesischer Krieg: 1740-42; 2. Schles. Krieg: 1744-46; der Siebenjährige Krieg: 1756-63)

[3]Vgl. AVERTISSEMENT (Juni 1755), Z. 3 ff.

[4]Vgl. AVERTISSEMENT (Juni 1755), der vorletzte Absatz verso.

[5]Vgl. AVERTISSEMENT (Juni 1755), Z. 20 f.

[6]Das Substantiv "Intelligenz" war unmittelbar vom lateinischen Verb intellegere = einsehen, Einsicht nehmen abgeleitet.

[7]Vgl. LINDEMANN (1969), S. 249 f.

[8]Vgl. KUBÍÈEK (2001), S. 297.

[9]Vgl. ŠIMEÈEK (1999), S. 335.

[10]Vgl. Wochentlicher Intelligenz-Zettel, Nr. 8, den 23. August 1755.

[11]Vgl. Wochentlicher Intelligenz-Zettel, Nr. 7, den 16. August 1755.

[12]Vgl. Wochentlicher Intelligenz-Zettel, Nr. 19, den 8. November 1755.

[13]Vgl. Wochentlicher Intelligenz-Zettel, Nr. 7, den 16. August 1755.

[14]Vgl. Wochentlicher Intelligenz-Zettel, Nr. 1, den 5. Juli 1755.

[15]Vgl. ENGEL (1996), S. 118.

[16]Vgl. PAUL (1959), DG, Bd. 2, S. 246.