PhDr. Jiøina Malá, CSc.
Department of Germanic, Nordic and Dutch
Studies
Institut für Germanistik, Nordistik
und Nederlandistik
Ústav germanistiky, nordistiky a
nederlandistiky
Dialogische Textsorten in deutschen und tschechischen Printmedien: Beispiel „Interview“
Dialogické
textové druhy v nìmeckých a èeských printmédiích: pøíklad „interview“
Dialogical
text types in German and Czech printmedia: Interview
Klíèová
slova: printmédia, dialogické textové druhy, interview,
funkce textu, Meinungsinterview,
Sachinterview, metaforika, idiomatika
Annotation: Der Beitrag widmet sich den dialogischen Formen in
Printmedien, konkret der Textsorte „Interview“.
Es werden zwei Interviews einer stilistischen Analyse unterzogen und
verglichen, die die Situation in der Wissenschaft heute behandeln: ein
Interview aus dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und ein Interview aus der
tschechischen Zeitschrift TÝDEN. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die
Unterschiede zwischen dem sog. Meinungs- und
Sachinterview und auf die
sprachlich-stilistischen Mittel, die in Interviews verwendet werden (besonders
Metaphorik und Idiomatik).
Anotace: Pøíspìvek
se zabývá dialogickými formami v printmédiích, speciálnì textovým druhem
„interview“. Na dvou vybraných interview z èasopisù DER SPIEGEL a TÝDEN se
snaží postihnout rozdíly mezi tzv. Meinungs-
a Sachinterview a jazykové prostøedky, kterých je v interview využíváno
(metaforika a idiomatika).
Dialogische Textsorten in deutschen und tschechischen Printmedien: Beispiel „Interview“
1.
Einführung
Neben den monologischen informations- sowie
meinungsbetonten Textsorten (Nachricht,
Bericht, Reportage, Kommentar, Glosse u.a.), die in den schriftlichen
Massenmedien überwiegen, begegnen wir auch den dialogischen
Kommunikationsformen:
Interview,
Diskussionsrunde, Expertenbefragung. Zu den
dialogischen Textsorten wird auch der
Leserbrief gerechnet. Während in dem
Interview vor allem Experten
(Wissenschaftler, Politiker) oder bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Künstler,
Sportler, verschiedene Zelebritäten, seltener dann „Leute von der
Straße“ zu Wort kommen, „eröffnet die Leserbriefsparte
als feste Einrichtung der Presse jedem
Leser die Möglichkeit, mit der Redaktion und anderen Lesern selbst Dialoge in schriftlicher Form zu führen und damit das Medium zur Teilnahme an
der öffentlichen Kommunikation zu nutzen.“ (BUCHER 1986, 142)
Der
folgende Beitrag widmet sich der Problematik der dialogischen Textorte Interview anhand von Beispielen aus
dem deutschen Wochenmagazin DER SPIEGEL und der tschechischen Wochenzeitschrift
TÝDEN und versucht sie einem stilistischen
Vergleich zu unterziehen. In beiden Printmedien erscheinen mehrere
Interviews in jedem Heft. Vor allem werden sie
mit Politikern und Ökonomen geführt und
den aktuellsten politischen und wirtschaftlichen Fragen gewidmet. Oft
werden auch Interviews mit Wissenschaftlern, Künstlern und Sportlern veröffentlicht. In TÝDEN kommen in jedem Heft
Interviews zu ökonomischen Fragen vor,
im Jahrgang 2003 waren auch Interviews mit Experten auf dem Gebiet
der Biologie, Ökologie, Medizin, Psychologie, mit Schriftstellern und anderen
Künstlern vertreten.
2. Das
Interview als journalische Textsorte
Das
Interview gehört zu den wichtigsten und beliebtesten Textsorten in der
Journalistik. Es bildet einen festen Bestandteil der Tages- und
Wochenzeitungen, Wochenmagazine sowie Zeitschriften
jeglichen Couleurs: Interviews
erscheinen sowohl in der seriösen Presse als auch in Boulevardblättern, in Unterhaltungs- sowie Fachzeitschriften für
spezifische Empfängerkreise. Von anderen
journalistischen Textsorten unterscheidet sich das Interview grundsätzlich: es
handelt sich um eine dialogische Kommunikation zwischen einem Interviewer und einem (oder auch
mehreren) Interviewten., die primär
mündlich verläuft und auf den Transfer vom gesprochenen zum geschriebenen
Medium angewiesen ist. Allen Arten von
Interviews ist diese Grundkonstellation gemeinsam. Die Rolle der beiden Protagonisten ist meistens
unterschiedlich. Der Interviewer „steuert“ das Interview, er hat das
Recht, verschiedene Fragen zu stellen
und erlangt somit einen höheren „situativen“ Status, während der Interviewte
als „öffentliche Persönlichkeit“ meistens über
einen höheren „sozialen“ Status verfügt. Es kann eine interessante
Spannungslage entstehen: der Interviewer: ein unbekannter Journalist, der mit seinen Fragen provozieren kann, und
der Interviewte: ein bekannter Politiker, der seine Position verteidigen muss.[1]
Die Interviewten sind jedoch nicht nur Politiker, sondern immer öfter auch verschiedene Experten: Ökonomen, Naturwissenschaftler, Ärzte, Historiker, Archäologen, Psychologen, aber auch Schriftsteller, Schauspieler, Musiker und andere Künstler, die den heutigen Lesern Antworten auf ihre Fragen, die die komplizierten Prozesse in der Gesellschaft betreffen, zu geben versuchen. Diese Persönlichkeiten genießen meistens einen hohen sozialen Status. Besonders in den Interviews mit Experten muss sich der Interviewer auf das Gespräch gründlicher vorbereiten, möglicherweise auch Recherchen in Zeitungsarchiven und Fachbiblioteken unternehmen und sich bei Fachleuten informieren, da besonders die Interviews mit Wissenschaftlern sachkundige und fachliche Erkenntnisse benötigen. Es ist auch erforderlich, ein Gerüst von Fragen vorzubereiten und auch Nebenthemen zum Hauptthema zu recherchieren.[2] Der Interviewer als meistens nicht so öffentlich bekannter Journalist genießt während des von ihm gesteuerten Interviews einige Privilegien: Er bestimmt die Themenkreise, stellt die Fragen, eröffnet und beendet das Gespräch. Die öffentlich und medial bekannte Persönlichkeit des Interviewten hat wiederum Möglichkeiten, bei unangenehmen Fragen diesen Rangunterschied zu kompensieren: durch Rückfragen, Versuch des Themawechsels, ausweichende Antworten.[3] Dies ist meistens bei politischen Interviews der Fall, in den Interviews mit Experten ist die Situation anders: die Experten liefern fachkundige Antworten aus ihrer Disziplin, und diese hat der Journalist, der zwar meistens mehr informiert ist als das Publikum, aber immerhin nicht so fachlich disponiert, zu respektieren.
Die Hauptfunktionen des Interviews sind informativ und evaluativ. Nach dem, welche Funktion in dem konkreten Interview überwiegt, lassen sich Sachinterviews von den Meinungsinterviews unterscheiden. Bei dem Sachinterview geht es vor allem um die Vermittlung von Informationen, die gestellten Fragen werden auf berichtende Weise sachlich und neutral beantwortet mit dem Akzent auf Fakten, Zahlen, Realien. Es wird die Fachsprache verwendet. Das Meinungsinterview liefert Argumente, Erklärungen, erläutert Hintergründe. Somit kann es zu den meinungsbetonten, persuasiven Textsorten wie Kommentar, Leitartikel, Glosse eingeordnet werden. Auch sprachlich gibt es einige Unterschiede zwischen dem Sach- und Meinungsinterview: In dem Meinungsinterview kommen umgangssprachliche und emotional oder expressiv gefärbte Stilmittel vor, in den Antworten (manchmal auch in den Fragen) ist eine gewisse Auflockerung zu spüren, die durch Mittel des Humors, der Satire, manchmal auch der Ironie zu erreichen ist. Manchmal ist die Grenze zwischen dem Sach- und Meinungsinterview jedoch schwer zu ziehen, besonders in den Printmedien der letzten Jahre.
Das Vorteil des Interviews im Unterschied zu den monologischen Textsorten besteht jedenfalls in der Unmittelbarkeit der Information, im Eindruck von Wirklichkeitsnähe und in der Authentizität. Die Politiker, Fachleute, Künstler, Sportler kommen direkt zu Wort und ihre Stellungnahme ist daher stärker persönlich gefärbt, anschaulicher und damit wirkungsvoller.
Der authentische Charakter geht bei dem Presseinterview jedoch partiell verloren, da das Interview redaktionell bearbeitet wird. Bei der redaktionellen Überarbeitung wird der gesprochene Text an die grammatischen und textlinguistischen Regeln sowie die stilistischen Gepflogenheiten der jeweiligen Zeitung oder Zeitschrift angepasst. Die Mündlichkeitssignale wie z.B. Pausenlaute äh, hm, Versprechen und Wiederholungen werden in der seriösen Presse getilgt, im Boulevard oder in der „Regenbogenpresse“ dagegen werden umgangssprachliche Sprechersignale (nicht wahr?), verschiedene Ausrufe des Typs Um Gottes willen, Mein Gott… sowie Interjektionen jedoch beibehalten. Sie gehören zu den dialogtypischen Merkmalen, die eine Annäherung an die Leser dieser Blätter bedeuten und zur Expressivität der Aussage beitragen.[4]
Die Typen von Interviews lassen sich also nach mehreren Kriterien unterscheiden: nach dem Presseorgan: seriöse Presse versus „Boulevard“; nach dem „Inhalt“: Die Interviewten informieren über Sachverhalte im Sachinterview (Politiker, Experten) oder drücken ihre Meinungen im emotional gefärbten Meinungsinterview aus (Künstler, Sportler, Showbussines-Vertreter, auch Politiker und Experten). Nach der Struktur kann es sich um Frage-Antwort-Sequenzen oder „Mischformen“ (sog. Porträts) handeln.
Es ist vor allem die formale Struktur des Interviews, die im heutigen Journalismus besonders unter dem Einfluss der Boulevard- und Regenbogenpresse einigen Wandlungen unterliegt. Der gesprochene Text tritt in den Hintergrund gegenüber dem Kontext des Interviews. Die Person des Interviewten wird beschrieben und charakterisiert, die Situation, in der das Gespräch stattfindet, wird geschildert. „Misch- und Grenzformen des Interviews sind aber auch für den seriösen Journalismus beliebte Formen der Darstellung geworden. Tageszeitungen bedienen sich der Mischform häufig bei ´Porträts´ von Persönlichkeiten, bei denen nicht nur wichtig ist, was sie im Interview gesagt haben, sondern wie sie es gesagt haben und was man sonst noch Berichtenswertes über sie weiß.“
(BURGER 1990, 69). Die Persönlichkeit des Interviewten wird auch bei ganz „einfachen“ Frage-Anwort-Interviews vorgestellt. Nicht selten werden auch Anlass, Ort, Umstände des Interviews angegeben.
Wie die Interviews in den heutigen „seriösen“ Printmedien dargeboten werden, wird im folgenden anhand von konkreten Interwiew-Texten aus den Wochenmagazinen DER SPIEGEL und TÝDEN dargestellt.
3. Stilistischer Vergleich
der Interviews
Zum stilistischen Vergleich wurden zwei Interviews herangezogen, die zunächst vom pragmatischen Standpunkt aus bestimmte Ähnlichkeitem aufweisen. Beide behandeln das Rahmenthema Probleme der Wissenschaft heute und werden mit führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet Biologie/Medizin geführt. Das Interview in DER SPIEGEL (Nr. 24/2002, S. 190-194) mit Peter Gruss, neuem Präsidenten der berühmten Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland und Direktor der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Max-Plank-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, führen die SPIEGEL-Redakteure Jörg Blech und Olaf Stampf. Das Interview im tschechischen Wochenmagazin TÝDEN (Nr. 38/2003, S. 46-50) gewährte der TÝDEN-Redaktuerin Kateøina Svobodová der in Tschechien medial sehr bekannte und hochgeschätzte Psychiater Prof. MUDr. Cyril Höschl.
Zunächst wird auf die Struktur beider Interviews eingangen mit der Frage, ob es sich um eine einfache, traditionelle Frage-Antwort- Form oder um eine „Mischform“ handelt. Im weiteren beschäftigt man sich mit dem Problem, ob ein Sach- oder Meinungsinterview vorliegt.
Wenn man die Interviews in beiden Wochenmagazinen näher betrachtet, stellt man fest, dass die Interviews (fast) immer als eine „Mischform“ präsentiert werden. Es ist schon eine Regel geworden, dass sie durch Fotos der Interviewten, entweder als Einzelporträts oder auch in verschiedenen privaten oder öffentlichen Situationen mit anderen Menschen ergänzt werden. Die Fotos werden mit kommentierenden Untertiteln versehen. Es kommen auch andere Typen von Infografik vor: Typisch für die Interviews sind biographische Informationen über die Interviewten, die in einem Sonderkasten mitten im Interview platziert werden. Es wird damit ein besonderer visueller Effekt erreicht, die Seiten mit Interviews werden dadurch für den Leser übersichtlicher und attraktiver, er kann sich schnell orientieren und ausführlich informiert werden. (siehe Beilage 1 und 2)
Die untersuchten Interview-Texte bestätigen diese modernen Tendenzen. Im SPIEGEL-Interview mit Peter Gruss wird der Dialog durch eine kurze Biographie des Wissenschaftlers (samt Porträt-Foto auf dem Arbeitsplatz) in einem grafisch abgesonderten Fließtext, in dem sachliche Informationen über seine Person überwiegen, durch fünf Fotos, die die Forschung am Max-Planck-Institut im allgemeinen illustrieren, und mit einem Diagramm über Ausgaben für Forschung und Entwicklung (S. 194) ergänzt. Auch das tschechische Interview wird zahlreich gegliedert: zur Person des Interviewten gibt es sechs Fotos, die sein Privat- sowie öffentliches Leben dokumentieren, seine Biographie wird kurz informierend im Sonderkasten (S. 47) dargestellt, ein Illustrationsfoto aus dem psychiatrischen Pavillon (S. 48) bezieht sich thematisch zum Text, zwei Porträts von erfolgreichen weltberümhten tschechischen Wissenschaftlern mit kommentierendem Text im Sonderkasten (S. 50), ergänzen den Interview-Text.
Die Aufmerksamkeit der Leser kann auch durch die Schlagzeile und den Untertitel erweckt werden. Beiden Schlagzeilen kann eine expressive Wirkung zugesprochen werden: Im SPIEGEL-Interview „Im Würgegriff der Bürokratie“ wird die Expressivität durch eine als Zitat verwendete kräftige Metapher erzielt, der Untertitel wirkt dagegen nüchtern und informativ:
(1) Peter Gruss, neuer Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, über zu starre Gesetze in Deutschland, das Image der Wissenschaftler und die ethischen Grenzen der Embryonenforschung. (S. 190) und weist auf die wichtigsten Themen des Interviews hin. Zur informierenden Nüchternheit tragen hier Fachbegriffe (ethische Grenzen, Embryonenforschung) bei, der moderne journalistische Stil wird durch Fremdwörter/Anglizismen (das Image) und wertende Adjektive (zu starre Gesetze) repräsentiert. In der Schlagzeile in TÝDEN wird bereits die Meinung des Interviewten Prof. Höschl präsentiert: Vìdecké výmluvy (Wissenschaftliche Ausreden) (S. 46). Die Expressivität besteht hier in der Wortkombination, die doppeldeutig und zugleich ironisch wirkt (man redet sich in der tschechischen Wissenschaft bloß aus, diese Ausreden werden „wissenschaftlich“ begründet). Im Untertitel wird Prof. Höschl im Gegensatz dazu als ein tüchtiger Wissenschaftler vorgestellt, der keine Ausreden mag und duldet. Der kurze kommentierende Untertitel-Text wirkt im Unterschied zu den sachlichen Informationen im Lebenslauf-Sonderkasten emotional, vor allem durch die detailierten Angaben zu seiner Person.[5]
Die Frage, ob se sich um ein Sach- oder Meinungsinterview handelt, kann auf Grund von einer eingehenden sprachlich-stilistischen Analyse beantwortet werden. Wissenschaftliche Problematik wird mit den politischen und ökonomischen Fragen bei der Organisation der Wissenschaft in beiden Ländern kombiniert, die Informationen aus der Wissenschaft werden mit argumentativen Textsegmenten, wo die Intervieweten ihre Meinungen präsentieren, gewechselt.
Eine wichtige Rolle spielen jedoch auch die Fragen der Interviewer. Die heutigen Journalisten, die die öffentlich bekannten Persönlichkeiten in der modernen Presse interviewen, benehmen sich den Fachleuten gegenüberhöflich höflich, aber selbstbewusst, da sie über viele sachkundige Informationen auf dem Gebiet verfügen, auf dem der interviewte Wissenschaftler tätig ist. So entsteht oft ein interessanter Dialog wie zwischen zwei Partnern. Besonders die SPIEGEL-Interviews sind durch diese „Partnerschaft“ gekennzeichnet, ohne dass der Respekt verloren geht; „provozierende“ Fragen bleiben eher dem politischen Interview vorbehalten. Die Fragen-Segmente sind ziemlich umfangreich, es sind kleine Texte, in denen die Interviewer nicht nur ihre Fachkenntnisse kundgeben, sondern auch durch verschiedene stilistische Figuren (besonders Metaphern) ihren Fragen eine gewisse Bildkräfttigkeit verleihen, z.B.:
(2) SPIEGEL: Herr Professor Gruss, seit Ihrer Wahl vor einem halben Jahr haben Sie 60 der 80 Max-Planck-Institute besucht und sich die Sorgen der Direktoren angehört. Was haben die Fürsten ihrem zukünftigen König mit auf den Weg gegeben? (S. 190)
Der interviewte Wissenschaftler geht auf dieses Sprach-Spiel kooperativ ein, und seine Anworten knüpfen textuell an die vorhergehende Metaphorik an:
(3) Gruss: Die Max-Planck-Direktoren sind keine Fürsten. Sie genießen aber ein fürsterliches Privileg: in extremer Unabhängigkeit forschen zu dürfen. Diese Freiheit zu verteidigen ist mein höchstes Ziel. Wenn ich das verfehle, dann ist der wichtigste Wert der Max-Planck-Gesellschaft verspielt. (S. 190)
Weitere Beispiele:
(4) SPIEGEL:
Was ist denn der größte Hemmschuh
für die deutsche Forschung?
Gruss: Wir brauchen unbedingt ein
gesondertes Tarifrecht für die Wissenschaft. […]
Aber wir sind dem Bürokratismus unterworfen, der uns in Gestalt des öffentlichen Dienstrechts im Würgegriff hält. (S. 192)
Die Fragen im tschechischen Interview sind im Vergleich zu dem deutschen Interview kürzer und sachlicher (mit der folgenden Ausnahme), die Antworten von Prof. Höschl sind, ähnlich wie bei seinem deutschen Kollegen, reich an Metaphorik, z.B.
(5) Jste zastáncem popularizace vìdy. Není ale vìda
zpopularizovaná až pøíliš? Co si má èlovìk vybrat z toho, když napøíklad
jedna skupina vìdcù tvrdí, že urèitý lék zpùsobuje rakovinu, a druhá øíká opak?
Zájmových hráèù na poli výzkumu a léèby je mnoho, od pacientù pøes farmaceutický prùmysl, lékaøe, pojišovny až po stát a ministerstvo. De facto všichni hrají proti sobì a jen v malých problémových oblastech táhnou za jeden provaz. […] (S. 49)[6]
Humor und Witz dringen in die heutigen Gespräche ein, obwohl es sich um ernste Themen wie die Finanzierung der Wissenschaft oder Stammzellforschung handelt. Die Anspielungen seitens der Interviewer sowie die geistreichen Antworten von Interviewten zeugen von einer hohen kulturellen Übersicht und Bildung der Protagonisten und verleihen beiden Interviews eine gewisse intellektuelle Exklusivität, z.B.
(6) SPIEGEL: Was machen Sie, wenn Sie kein zusätzliches Geld bekommen? Haben Sie einen Plan B in der Schublade?
Gruss: Plan B hieße wohl: streichen und schließen? … (S. 192)
Plan B ist eine Anspielung auf die Filme mit James Bond (?).Auch weitere Anspielungen auf historische Begebenheiten, literarische Darstellungen und Gestalten sind zu finden:
(7) SPIEGEL:
Für viele Ihrer Kollegen hatte die
Auseinandersetzung um die Stammzellforschung Züge einer Hexenjagd. Haben
Sie das auch so empfunden?
Gruss: In der Tat hatte die Debatte nur teilweise ein hohes philosophisches Niveau. Auch im Bundestag wurde darüber manchmal allzu emotional diskutiert. Es ist ja nun wirklich nicht so, dass unsere Labors von lauter kleinen Frankensteins bevölkert sind. (S. 194)
Die Emotionalität ist in beiden Interviews zu spüren, sie kommt nicht nur in stilistischen Figuren und in witzigen Anspielungen zum Ausdruck, sondern auch durch die Umgangssprache, die besonders die Äußerungen von Prof. Höschl prägt, z.B.:
(8) … na nìjakém úzkém tématu pracují ètyøi odborníci a problém je, jestli Tonda bude posuzovat Pavla nebo Pavel Tondu. (S. 48)[7]
Im Gespräch mit Prof. Höschl fällt auch die umgangssprachliche Phraseologie auf, z.B.:
(9) … Problém zaèíná tehdy, když nepublikuje
to, co se nehodí do krámu.
… (S. 49)
(10) Lékaøi, kterým pøipomeneme, že jsou zaujatí ve prospìch nìjaké firmy,
se cítí nesmírnì pohoršeni. Tvrdí, že nejsou žádní agenti s teplou
vodou. (S. 50)
(11) Další, menší skupina, která tam takto jezdí, jsou takzvaní opinion
leaders, ti kdo vytváøejí veøejné mínìní. Mezi nì patøím taky, všichni jsme
v tom jednou nohou nìjak namoèení. (S. 59)[8]
Im Interview mit Peter Gruss kommt die Umganssprache nicht so oft vor, ein Beispiel lässt sich jedoch finden:
(12) Dies eröffnet jedem die Möglichkeit zu studieren, ohne sich finanziell krumm legen zu müssen. (S. 192)
Die Verwendung der Umgangssprache dient zur Auflockerung der Rede, die Äußerungen der Wissenschaftler wirken damit ungezwungen und sympathisch.
Es
entsteht jedoch ein gewisser Kontrast zwischen der alltagssprachlichen
Ausdruckweise, wenn die Interviewten über die gesellschaftlichen und
politischen Hintergründe der
Finanzierung der Wissenschaft und Problematik des Hoschulstudiums reden, und
der Fachsprache, die sie verwenden, wenn es um konkrete Fachprobleme geht. Dies
ist besonders im SPIEGEL der Fall. Das Interview mit Prof. Höschl behandelt keine spezifischen
wissenschaftlichen, sondern eher allgemeinen Probleme, enthält also wenig Fachbegriffe, es ist ganz
im lockeren Ton gehalten. Die Metaphorik, die hier zur Veranschaulichung der Problematik
verwendet wird, kann man als ganz
allgemeinsprachlich bezeichnen, z.B. ovoce výzkumu, peníze teèou, pracovištì … na
zelené louce, dav je masírován reklamou, v hlavì se rozsvítí èervené
svìtýlko usw.[9]
Das Interview mit Prof. Gruss
enthält mehr Fachbegriffe aus der Biologie und Medizin, besonders im zweiten Teil, wo es mehr um die
wissenschaftliche Problematik der Stammzellenforschung geht, z.B. embryonale Stammzellenlinien,
Parkinson-Patienten, Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken,
Fortpflanzungsmedizin u.a. (S. 194).
Der Wissenschaftler bedient sich aber auch in diesem mehr fachlbezogenen Teil des
Interviews lockerer anschaulicher Ausdrucksweise mit einfacher metaphorischer Idiomatik, z.B.:
(13) … Aber wenn eine interessante Anwendung herauskommt, wirft man die doch nicht einfach in den Papierkorb. (S. 194)
(14) … Von allen Forschungsvorhaben, die mir selber
sehr am Herzen liegen, … (S. 194)
(15) SPIEGEL:
Wie lange lässt sich die
Stichtagsregelung durchhalten?
Gruss: Ich schätze, höchstens fünf Jahre, aber nicht viel länger. Dann wird der Ball wieder im Feld der Politiker landen. (S. 194)
Die Fussballspiel-Metaphorik zur Veranschaulichung der komplizierten Situation in der Forschung scheint bei Prof. Gruss beliebt zu sein, z.B. im folgenden Vergleich:
(16) Es ist wie mit der deutschen Fußballnationalmannschaft: Die MPG ist nicht schlechter geworden, aber die internationale Konkurrenz besser.
4. Fazit
Beide Interviews mit bedeutenden Experten bestätigen die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen auf dem Gebiet der dialogischen Kommunikationsformen in der Presse. Es handelt sich um Dialoge, die mit reicher Infografik und vielen zusätzlichen Informationen ergänzt werden. Das Verhältnis der Interviewer und Interviewten kann man als gleichberechtigt bezeichnen, die Journalisten sind allseitig informiert, den Experten gegenüber höflich, was auch umgekehrt gilt.
Obwohl die ausführlichen Antworten der Interviewten viele sachliche und fachliche Informationen enthalten, werden vor allem die Meinungen der Experten präsentiert, ihre Ausdrucksweise ist anschaulich, aufgelockert und emotional durch die reiche Metaphorik und Idiomatik. Die heutigen Interviews mit führenden Experten tendieren eindeutig zu Meinungsinterviews und zu Sprachportäts.
Literaturverzeichnis:
BIERE, B.U/HENNE, H. (Hrsg.) (1993): Sprache in den Medien nach 1945. Tübingen
BIERE, B. U. (2001) (2001): Strategien des
Verständlichmachens in wissenschaftsjournalistischen Texten. In: Aspekte der
Textgestaltung. Referate der Internationalen Germanistischen Konferenz Ostrava.
Hrsg. von L. Vaòková u P. Zajícová.
Ostrava. S. 413-423
BUCHER, H.-J. (1986): Pressekommunikation. Grundstrukturen einer öffentlichen Form der Kommunikation aus linguistischer Sicht. Tübingen
BURGER, H. (1990): Sprache der Massenmedien. Berlin - New York
LÜGER, H.-H. (1995): Pressesprache. Tübingen
PÜRER, H. (Hrsg.) (1996): Praktischer Journalismus in Zeitung, Radio und Fernsehen. Mit einer Berufs- und Medienkunde für Journalisten in Österreich, Deutschland und der Schweiz. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Salzburg: Kuratorium für Journalistenausbildung
SCHWITALLA, J. (1993): Textsortenwandel in den Medien nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Überblick. In: BIERE, B. U./HENNE, H. (Hrsg.), a.a.O. , S. 1-29
Pøíspìvek vychází ve Sborníku prací filozofické fakulty brnìnské univerzity BBGN
R 9/2004
[1] Vgl. H. BURGER: Sprache der Massenmedien, 1990, 58ff. Es wird als Beispiel ein politisches Interview angeführt, in dem allerdings zur Verletzung der Rollen-Asymmetrie kommt. Der Journalist stellt hartnäckige und boshafte Fragen, die er auf provokante Weise selber beantwortet , der interviewte Lokalpolitiker gerät in die Defensive (S. 63f). Vgl. auch Entwicklung des politischen Interviews nach 1945 bei J. SCHWITALLA 1993, 14-15.
[2] Nähere Hinweise zur Vorbereitung und praktischen Durchführung eines Interviews in der Zeitung in: H. PÜRER (Hrsg.): Praktischer Journalismus in Zeitung, Radio und Fernsehen. Salzburg 1996, S. 97-99
[3] Vgl. H.H. LÜGER 1995, 142
[4] Vgl. H. BURGER 1990, 59f; H.H. LÜGER 1995, 142
[5] S prací pravidelnì konèí
ve dvì v noci a sekretáøky už mají zpola popsaný kalendáø s jeho
programem na celý pøíští rok. Když má psychiatr Cyril Höschl mluvit o sobì,
zjevnì jej to moc nebaví. Jakmile ale pøijde øeè na to, kam smìøuje èeská vìda
a proè se našim výzkumníkùm nedaøí v cizinì tak, jak by mohlo, ihned
ožívá. (S. 46) - (Er endet regelmäßig mit der Arbeit um zwei Uhr in
der Nacht, und die Sekretärinnen haben den Kalender halb voll mit seinen
Terminen für das ganze nächste Jahr. Wenn der Psychiater Cyril Höschl über sich
selbst reden soll, macht es ihm offensichtlich keinen Spaß. Aber sobald die Rede darauf kommt, worauf die
tschechische Wissenschaft ab zielt und warum die tschechischen Forscher im Ausland
nicht so erfolgreich sind, wie sie sein könnten, wird er gleich munter.) (Übersetzung J.M.)
[6] Sie befürworten die Popularisierung der Wissenschaft. Wird die
Wissenschaft aber nicht zu sehr popularisiert? Was soll man denn wählen, wenn zum Beispiel eine Gruppe von
Wissenscftlern behauptet, dass ein Medikament Krebs verursacht, und die zweite
das Gegenteil?
Die auf dem Gebiet der Forschung und Heilung interessierten Spieler bilden eine Legion, von den Patienten über die Pharma-Industrie, Ärzte, Krankenkassen biz zum Staat und Ministerium. De facto spielen alle gegen alle, und nur in kleinen Problem-Bereichen ziehen sie am gleichen Strang. … (S. 49; Übersetzung J.M.)
[7] … auf einem engen Gebiet arbeiten vier Experten und das Problem ist, ob Tonda Pavel begutachten wird oder Pavel Tonda.. (Pavel-Tonda, etwa wie Hinz und Kunz, im Tschechischen jedoch nicht idiomatisiert)
[8] Das Problem beginnt, wenn man nicht das publiziert, was in den Kram
passt..
… (die Ärzte)
behaupten, sie seien „ keine Agenten
mit warmem Wasser“. (Sie bieten keine warme Luft an“)
… Dazu gehöre auch ich: wir stecken irgendwie alle mit einem Fuss drin… (Übers. von J.M.)
[9] Früchte der Forschung, das
Geld fließt, die Arbeitsstelle … auf der grünen Wiese, die Massage durch die
Werbung, ein rotes Licht leuchtet im
Kopf auf.