PhDr. Jiøina Malá, CSc.
Department of Germanic, Nordic and Dutch
Studies
Institut für Germanistik, Nordistik
und Nederlandistik
Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky
Stilistische
Funktionen der Phraseologismen in publizistischen Textsorten
Stylistické funkce frazeologizmù v publicistických
textových druzích
Stylistic functions of idioms in printmedia texts
Klíèová slova: frazeologizmy, stylistické funkce, konotace, publicistické textové druhy, titulní
story, metafora, metonymie, obrazné stylistické
prostøedky
Annotation: Der
vorliegende Beitrag weist folgende Schwerpunkte auf: er konzentriert sich auf
die Phraseologismen als feste Wortgruppen, er untersucht ihre stilistischen
Konnotationen, ihre Rolle als sprachliche Bilder (Metapher, Metonymie u.a.) und
ihre textbildenden Potenzen, und dies anhand der publizistischen Textsorte
„Titelgeschichte“ des Wochenmagazins DER SPIEGEL.
Anotace: Pøíspìvek je zamìøen na tøi oblasti: frazeologizmy a jejich
klasifikaci, stylistické funkce a
konotace frazeologizmù a textové druhy v souèasných printmédiích.
Na pøíkladì textového druhu „Titelgeschichte“ (titulní story) z magazínu
DER SPIEGEL se snaží postihnout stylistické a textové funkce obrazných frazémù
(idiomù).
Stilistische
Funktionen der Phraseologismen in publizistischen Textsorten
Als
Phraseologismen (Phraseme, Phraseolexeme) gelten allgemein alle festen
Wortverbindungen, die aus mehr als einem Wort bestehen (Polylexikalität) und (meistens) genau in der Kombination vorkommen,
in der sie in der Sprachgemeinschaft (und in Wörterbüchern) gebräuchlich sind (Stabilität). Darüber hinaus weisen viele
der Wortverbindungen die Idiomatizität auf,
die darin besteht, dass die Wörter eine durch die syntaktischen und
semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit
bilden, z.B.: Du solltest deine Aufgabe
nicht auf die leichte/*rechte/*linke
Schulter nehmen. (vgl. BURGER 1998, 11ff; HESSKY 1992, 79). Die
Untergruppe der Idiome ragt durch
ihre Bildkräftigkeit, die teil- oder vollidiomatisch begründet werden kann,
besonders hervor. D. DOBROVOL´SKIJ (1995, 48:) bezeichnet Idiome als "reproduzierbare
Wortkomplexe, die den Kernbereich des phraseologischen Systems ausmachen, indem
sie zusätzliche Irregularitätsmerkmale in verschiedenen Kombinationen und mit
einer unterschiedlichen Intensität aufweisen", solche wie z.B.
Non-Kompositionalität, Allomorphie zwischen der formalen und semantischen
Struktur, semantische Simplizität, syntaktische Undurchlässigkeit, Fixiertheit
des Konstituentenbestandes, konnotativ-pragmatische Extension der Bedeutung,
"poetische" Markiertheit der Form, unikale Konstituenten, die
Unmöglichkeit der literalen Interpretation der entsprechenden Wortkette
u.a." Die verbalen (jm. einen Bären
aufbinden) sowie nominalen (alter Hase)
Idiome bilden neben den Vergleichen (wie
von der Tarantel gestochen) und Paarformeln (klipp und klar) den Kernbereich der Phraseologie, sie werden als
Phraseme im engeren Sinne betrachtet.
Mit
den stilistischen Aspekten der Idiome beschäftigt sich die Phraseostilistik, für die es in der Fachliteratur bis jetzt wenig
Vorarbeiten gibt. Bei der stilistischen Beurteilung der Idiome werden traditionsgemäß
ihre unterschiedlichen Konnotatationen reflektiert.
Die Konnotierung der Phraseme ergibt sich daraus, dass sie an gewisse
Stilschichten gebunden und mit verschiedenen stilistischen Markierungen
(Stilfärbungen) verbunden sind, wodurch besondere Affektivität, Emotionalität
und Expressivität hervorgerufen werden. (vgl. FLEISCHER 1997, 198). Die Idiome
verfügen über einen semantischen Mehrwert
und tragen zur Intensivierung und Veranschaulichung der Aussage bei, die
dadurch überzeugender, griffiger und eindringlicher wird (vgl. SANDIG 1989,
387). Z. B.: das Idiom auf/aus dem
letzten Loch pfeifen wirkt im Text oder im Dialog bestimmt expressiver als
die Paraphrasierung "völlig
erschöpft sein", weil es auf Grund des sprachlichen Bildes treffender
und witziger ist. Die Idiome sowie ihre möglichen Abwandlungen (Modifikationen)
bilden die Grundlage für verschiedene Sprachspiele, die Mittel für Humor,
Spott, Satire oder Ironie darstellen. (vgl. RIESEL/SCHENDELS 1975, 90).
Im
Unterschied zu Einzellexemen, für die die neutrale
Stilschicht maßgebend ist, sind die meisten Idiome der umgangssprachlichen oder der saloppen
bzw. derben Stilschicht
zugeordnet (z.B. jm. ist eine Laus über
die Leber gelaufen/gekrochen - "jd. ist über etw. verärgert"; die Saus rauslassen - "sich
hemmungslos gehen lassen"). Andererseits weisen die Idiome auch gehobene bzw. bildungssprachliche Markierung auf (z.B. wie ein Phönix aus der Asche steigen - "verjüngt, neubelebt
wiedererstehen"). (vgl. FLEISCHER 1997, 198ff). Die Idiome können jedoch
noch feiner nuanciert werden: scherzhaft (im Adamskostüm sein), euphemistisch (Tüten kleben), hyperbolisch (sich die Augen ausweinen), ironisch
(etw. passt wie die Faust aufs Auge).
Die Idiomatik kann zeitlich, regional oder sozial gebunden werden, z.B.
Jugendsprache: eine Schnecke angraben - "ein
Mädchen kennen lernen und gewinnen".
Die
Problematik der Konnotationen ist mit dem weiteren Schwerpunkt der
Phraseostilistik eng verbunden: die Idiome treten meistens als sprachliche Bilder auf (rhetorische
Tropen und Stilfiguren), die verschiedene Konnotierungen aufweisen können.
"Hat man sich [...] über das Inventar rhetorischer Gestaltungsmittel wie
Metapher, Metonymie, Hyperbel, Ironie usw. einmal einen ersten Überblick
verschafft und betrachtet man vor diesem Hintergrund einige beliebige
Redewendungen und feste Wortfügungen der deutschen Gegenwartssprache, so stellt
man fest, dass rhetorischer Schmuck hier so geballt auftritt wie sonst
nirgendwo in der gesprochenen oder geschriebenen Sprache. Dies gilt [...] nicht
nur für die verschiedenen Formen der semantischen Übertragung, sondern auch für
sprachliche Gestaltungsmittel auf syntaktischer und lautlicher Ebene."
(DIETZ 1999, 3).
Die
Idiome stellen auf Grund der ihnen zugrunde liegenden semantischen
Übertragungsprozesse sprachliche Bilder dar, die man sowohl vom Standpunkt der
traditionellen Rhetorik/Stilistik als auch der kognitiven Semantik und
Psycholinguistik aus betrachten kann. Die "klassische"
Rhetorik/Stilistik unterscheidet zwischen Tropen
(Metapher, Metonymie, Synekdoche, Hyperbel, Litotes, Periphrase usw.) und syntaktischen Figuren (Oxymoron,
Antithese, Klimax usw.). In beiden Bereichen kommen die Idiome zur Geltung.
Aus
psycholinguistischer Sicht hat ein Idiom in vielen Fällen zwei lexikalisierte
Lesarten, eine wörtliche und eine phraseologische, und es ermöglicht dem
Sprachbenutzer durch seine Bildkräftigkeit (Bildhaftigkeit oder Bildlichkeit)
eine ganze Reihe individueller Lesarten, die Aspekte der phraseologischen
Bedeutung und der wörtlichen Lesart intergrieren können. (vgl. HÄCKI-BUHOFER
1999, 63). Zwischen den Begriffen Bildhaftigkeit
und Bildlichkeit wird in der
(Phraseo)Stilistik unterschieden: Als bildhaft
werden anschauliche, sinnfällige Wendungen bezeichnet, die konkrete
visuelle,taktile, olfaktorische oder auditive Vorstellungen hervorrufen. Bildlich sind die Idiome dann, wenn
ihnen die metaphorischen, metonymischen u.a. Prozesse zugrunde liegen.
"Unter Bildlichkeit sollte man bei Phraseologismen die synchrone
Übertragenheit der Wortverbindung oder eines Teiles davon verstehen, die damit
eine metaphorische Motivierung ermöglicht." (ebd., 65). Bei einigen
Idiomen kann man beiden Merkmalen begegnen, z.B. das Idiom Öl ins Feuer gießen ("einen Streit noch verschärfen") ist
auf Grund des visuell-konkreten Vorganges bildhaft/anschaulich
und auf Grund der metaphorischen Übertragung bildlich.
Die
Problematik der metaphorischen Übertragenheit ist ein kompliziertes Phänomen,
das die kognitive Semantik zu lösen versucht. In der traditionellen
Rhetorik/Stilistik spielen Metaphern und
Metonymien (und ihre Subarten) eine
zentrale Rolle. Die Metapher wird als
Bedeutungsübertragung auf Grund der Ähnlichkeit (Sprungtropus auf Grund der
Analogie) chrakterisiert, während die Metonymie
eine Ersatzrelation in der semantischen Nähe darstellt
(von
der "eigentlichen" Bedeutung zu einem Aspekt, der in realer Beziehung
zum Ausgangspunkt steht). (vgl. DIETZ 1999, 47ff).
Die
kognitive Semantik versteht die Metapher als Prinzip menschlicher Wahrnehmung
und Wissensorganisation, als äußere Manifestation des inneren Vorgangs, nämlich
des Denkens in Modellen und "Konzepten". (vgl. LAKOFF/JOHNSON 1980;
2002). Die kognitiven (über-, vorsprachlichen) Konzepte liegen den sprachlichen
(lexikalischen und phraseologischen) Realisierungen zu Grunde. Das
metaphorische Modell besteht in einem Ausgangsbereich
(source domain) und einem Zielbereich (target domain), z.B. bei dem metaphorischen Kompositum Geldquelle ist der Ausgangsbereich
WASSER(Quelle) und der Zielbereich (auf den hin projiziert wird) GELD. Wie aus
dem oben erwähnten hervor geht, sind nicht alle Metaphern idiomatisch im Sinne
von Polylexikalität. Als Metaphern
treten Einzellexeme bzw. Komposita auf. Als metaphorisches
Idiom kann man dann z.B. an der
Quelle sitzen - "gute Bedingungen zu etw. haben, zu besonders
günstigen Bedingungen in den Besitz von etw. gelangen". (vgl. BURGER 1998,
81ff). Auch die Metonymie bzw. Synekdoche als idiomatische Wendungen
sind nicht zu vernachlässigen. Bei der Metonymie,
die einen nicht minder produktiven imaginativen Prozess darstellt, steht
ein Element für ein anderes Element aus derselben Domäne, während bei der Metapher Elemete aus zwei verschiedenen
Domänen imaginativ in Beziehung gesetzt werden. Die Metonymie stellt also eine konzeptuelle Extension innerhalb der
Grenzen einer Domäne dar. (vgl. FEYAERTS 1999, 140), z.B. Metonymie für
DUMMHEIT: jd. hat Stroh/Sägemehl im Kopf.
Die
Idiome mit ihren zahlreichen Konnotationen und vor allem als sprachliche Bilder
(Metaphern/Metonymien) weisen textbildende Potenzen auf, sie machen sich
geltend in verschiedenen Textsorten als wichtige textkonstituierende Mittel der
Formulierungs- und Argumentationsunterstützung. (vgl. GRÉCIANO 1999; ABRAHAM
1996, 363ff).
Für
die Untersuchung der text- und stilbildenden Funktionen der Idiome erweisen
sich als bahnbrechend die Arbeiten von B. SANDIG, die auf ihre umfangreichen
Erfahrungen mit stilistischen Phänomenen zurückgreifen kann. In den Vordergrund
ihrer Untersuchungen stellt B. SANDIG die Prämisse, dass es nicht so sehr darum
geht, welche Rolle die Phraseme als Stilelemente und Stilfiguren spielen,
sondern wie sie im Rahmen der Handlungsstruktur der Textsorte eingesetzt
werden, z.B. im Hinblick auf die Themen- und Handlungsstrukturierungsfunktion
(Einleitung, Zwischenresumé, Zusammenfassung; Pointierung, Hervorhebung). Neben
diesen Funktionen üben die Phraseme auch andere Funktionen aus wie
Konkretisierung, Intensivierung durch sprachliche Bilder, Argumentieren,
Anbiedern durch verschiedene Konntotationen, Abwandlungsmöglichkeiten.
"Wohl immer haben Idiome Einstellungsausdrucksfunktionen (z.B. Bewerten,
emotional Bewerten). Sie können aber auch zum Ausdrücken von Ironie (als
Sonderform des Bewertens) verwendet werden, [...]." (SANDIG 1989, 395).
Die Idiome als sprachliche Bilder mit
ihren zahlreichen Konnotationen werden
in ihren textbildenden Potenzen untersucht und in die Stilanalyse intergriert.
B. SANDIG konzentriert sich in ihren weiteren Beiträgen auf den bewertenden Charakter von Idiomen, indem
sie die Motivationszusammenhänge zwischen Phrasemen und Bewerten in den
Erklärungszusammenhang der "Konzeptualisierungen" stellt (SANDIG
1991, 225ff; SANDIG 1994, 549ff). Dabei bezieht sie sich auf die
Metapher-Konzeption von LAKOFF/JOHNSON (1980), die gezeigt haben, dass feste
Metaphern/Metonymien bzw. andere Bilder in einer Sprache nicht zufällig sind,
sondern dass es ganze Gruppen mit Systemcharakter gibt, die die konkrete
Erfahrungswelt durch abstrakte Gegebenheiten "konzeptualisieren".
"Metaphern sind ein wichtiges Mittel des Bewertens, und metaphorische
Redewendungen haben ja vielfach auch bewertende
Bedeutung." (SANDIG 1994, 552). Als Beispiele führt sie verschiedene
Idiome an: mit zweierlei Maß messen, mit
demselben Maß messen usw., die bei der bewertenden Kommentierung verwendet
werden können.
Die
Metonymien u.a. sprachliche Bilder beteiligen sich genauso wie Metaphern am
Aufbau des Textes: Während jedoch die Metaphern die Wiederholung des Gleichen
oder Ähnlichen darstellen, führen die Metonymien das Neue ein. (vgl. ROTHKEGEL
1999, 97).
Das
stilistische Potential von Idiomen kann nur anhand von Textanalysen in
verschiedenen Textsorten erarbeitet werden. Als besonders geeignet erweisen
sich dazu die Textsorten im Bereich der Massenmedien. Als Beispieltext für die
folgende kurze Analyse wurde eine der Titelgeschichten
in DER SPIEGEL ausgewählt, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen und
politischen Themen beschäftigen. Die Titelstory (DER SPIEGEL 20/1997, S.
114-129) widmete sich dem Thema Die
Titanic - das unsinkbare Wrack, Mythos und Innbegriff der menschlichen Hybris. In
diesem umfangreichen Text beteiligen sich die Idiome als Metaphern, Metonymien,
Synekdochen in bedeutendem Maße an der Textprogression, sie gewährleisten die
Kohärenz des Textes. Die reiche Metaphorik und Idiomatik zeugen auch von der
Realitätserfahrung (Welterfahrung) und von enzyklopädischem Wissen, von sozialen
und kommunikativen Fähigkeiten und von kultureller Gewandheit der Autoren (vgl.
GRÉCIANO 1999, 6ff).
Als
Quellen-Bereiche der Metaphorik und Idiomatik erweisen sich in diesem Text
mehrere Gebiete. Eng mit dem zentralen Thema verbunden ist der Bereich der Seefahrt: es geht um Meer, Schiff und
Schiffbruch. Aus der Seemannssprache werden vor allem pragmatische Formeln in
kommentierender Funktion verwendet, z.B.:
(1)
85 Jahre nach dem Desaster ist
"Titanic"-Time, in allen Medien und mit allen Mitteln, in der
wirklichen und in der virtuellen Welt, mit gehobenen Schätzen und versenkten
Träumen: Ahoi, "Titanic", Leinen los. (116)
(2)
Die oben im Lichte fanden leichter den
Weg, die unten tappten
im
Dunkel, alle standen vor dem Dilemma: "Frauen und Kinder zuerst"
oder "Rette sich, wer kann". (125)
Stilistisch
interessant sind hier auch die sprachlichen Kontraste (Antithesen).
Die
See-Schiff-Metaphorik und Idiomatik wird auch auf andere Bereiche übertragen,
z.B. auf die Domäne Kommunikation, Film- und Musikkunst:
(3)
Und hohe Wellen schlägt die
"Titanic" im Cyber-Ozean, im Internet. Alles über Mann und Maus an Bord ist
da zu erfahren. (129)
(4)
An New York Broadway lief
mittlerweile eine "Titanic" nach Noten vom Stapel, als
Musical... (116)
(5)
Auf Kiel liegt noch die
Hollywood-"Titanic", an der "Terminator"-Regisseur James
Cameron dreht... (116)
Die
"Titanic"-Katastrophe weist jedoch auch tiefere philosophische
Dimensionen auf. Deshalb greifen die Texter auf die kulturellen Quellen der
Bibel, der griechischen sowie germanischen Mythologie, um das Verhängnisvolle
und Tragische zu betonen. Die Bibel liefert zahlreiche Gleichnisse für das
geschehene Unglück, die vor allem in Anspielungen an die Arche Noah, aber auch
als Unterstützung der These von der Versuchung Gottes und Blasphemie
(Lästerung) sowie der Kritik der Klassengesellschaft zum Ausdruck kommen:
(6)
Die blasphematische Übergröße... könnten ein
Dorn im Auge Gottes gewesen sein. (121)
(7)
Tatsächlich startete die
"Titanic" als eine Art Arche Noah...
(121)
(8)
Denn "drei Stockwerke" sollte die
Arche haben, befahl der HERR dem Noah [...], "eins unten, das zweite in der Mitte,
das dritte oben." [...] Und da hinein gingen, auch biblisch, "Männchen
und Weibchen von allem Fleisch". (121)
Der
Einfluss der griechischen Mythologie ist in metaphorischen Anspielungen
sichtbar, die eine wichtige topologische Funktion aufweisen:
(9)
"Titanen" sind ... Söhne und Töchter des Uranos, ...
die von ihm (Olymp-Gott Zeus - J.M.) in
den "Tartaros" ... gestürzt werden. [...] Auch die "Giganten" ...
hatten sich gegen den Olympier erhoben und waren von ihm in den Tartaros
geschmettert. (119)
In
Bezug auf die germanische Mythologie stehen die aus dem engelsächsischen Raum
stammenden "Schöpfer" der "Titanic" im Vordergrund, die
gewissermaßen mit "altgermanischen" Tugenden versehen werden. Die Anspielungen reichen vom
Nibelungenlied über Götterdämmerung bis zu Nietzsches Übermenschen:
(10)
Die Rauchsalon-Siegfriede der
"Titanic" ... stammen zwar nicht in gerader Linie von den Nibelungen
ab, ein Ring wurde ihnen postum dennoch durch die Nase gezogen. (127)
(11)
Das größte, stolzeste Technik-Fanal
seiner Zeit - von einem simplen Klumpen Natur gekillt. Nietzsches Übermensch
- ganz ordinär ins Knie geschossen. Das ging global an die Nieren.
(114)
Im
oben erwähnten Beispiel haben wir noch mit weiteren stilistischen Phänomenen zu
tun: mit der Metonymie bzw. Synekdoche und der Ironie, die für die Publizistik
in DER SPIEGEL typisch ist. Interessant ist im Text die Nase-Synekdoche. Die Nase, die im menschlichen Gesicht deutlich
hervorragt, stellt ein empfindliches Organ dar, das oft als erstes verletzt
wird, daher die Assoziationen:
(12)
Allein im Jahr 1903 stießen 20 Schiffe an
dahintreibende Giganten (hier: Eisberge - J.M.); 12 der Blessierten versanken. 1907 drückte sich ein Deutscher die
Nase ein, der Dampfer "Kronprinz Wilhelm", er kam davon. (116)
(sich die Nase eindrücken wird im DUDEN
11 als Idiom nicht gespeichert).
(13)
Anderthalb Stunden saßen sie dann in der
ersten Reihe, als vor ihren Augen die "Titanic" ihre hochmutige
Nase immer tiefer steckte. (125) (Modifikation - die Nase hochtragen, Okkasionalismus).
Die
untersuchte Titelstory weist einen überdurchschnittlichen Gebrauch an
Metaphorik und Idiomatik auf. Bedeutend sind u.a. auch Anspielungen auf die
soziale Problematik auf der "Titanic", denen Zitate aus Brechts
"Dreigroschenoper" zugrunde liegen, oder die Anspielungen auf die
aktuelle politische Situation. Vom stilistischen Standpunkt aus ist auch die
Verwendung der umg. bis saloppen Idiomatik von großem Interesse, z.B.:
(14)
[...] von den 16 Schiffs-Hauptköchen geben 15 den Löffel ab.
(114),
die mit der gehobenen Metaphorik
und
Idiomatik kontrastiert und ironische Wirkung hervorruft.
Wie
ersichtlich, ist das stilistische Potential von Idiomen sehr hoch, es handelt
sich jedoch vor allem um modifizierte und okkasionelle Idiome, die in reichem Maße zu verschiedenen Sprachspielen
ausgenutzt werden, und um zahlreiche historische und kulturelle Anspielungen.
LITERATURVERZEICHNIS:
ABRAHAM,
U. (1996): StilGestalten, Geschichte und Systematik der Rede vom Stil in der
Deutschdidaktik. Tübingen
BURGER,
H. (1998): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin
DIETZ,
H.-U. (1999): Zur Bedeutung rhetorischer Elemente im idiomatischen Wortschatz
des Deutschen. Tübingen
DOBROVOL´SKIJ,
D. (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus
deutscher Idiome. Tübingen
DUDEN,
Bd. 11: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten, Mannheim etc. 1992
FEYAERTS,
K.: (1999): Die Metonymie als konzeptuelles Strukturprinzip: eine
kognitiv-semantische Analyse deutscher Dummheitsausdrücke. In: BAUR, CHLOSTA,
PIIRAINEN (Hrsg.): Wörter in Bildern - Bilder in Wörtern, Baltmannsweiler,
139-176
FLEISCHER,
W. (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache.2 Tübingen
GRÉCIANO,
G. (1999): Sprach-, Text- und Weltwissen als Erklärung von Phraseologie. In:
BRAVO, BEHR, ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, Tübingen, 1-14
HÄCKI-BUHOFER,
A. (1999): Psycholinguistik der Phraseologie.
In:
BRAVO, BEHR, ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, a.a.O., 77-89
HESSKY,
R. (1992): Grundfragen der Phraseologie. In: ÁGEL, HESSKY (Hrsg.): Offene
Fragen - offene Antworten in der Sprachgermanistik. Tübingen, 77-93
LAKOFF,
G., JOHNSON, M. (2002): Metafory, kterými žijeme. Brno
RIESEL,
E., SCHENDELS, E. (1975): Stilistik der deutschen Sprache, Moskau
ROTHKEGEL,
A. (1999): Zur Metaphernfunktion von Phrasemen im Diskurs. In: BRAVO, BEHR,
ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, Tübingen, 91-100
SANDIG,
B. (1989): Stilistische Funktionen verbaler Idiome am Beispiel von Zeitungsglossen
und anderen Verwendungen. In: GRÉCIANO (Hrsg.): EUROPHRAS ´88, Strasbourg,
387-400
SANDIG,
B. (1991): Formeln des Bewertens. In: PALM, CH. (Hrsg.):
EUROPHRAS
´90, Uppsala, 225-252
SANDIG,
B. (1994): Zu Konzeptualisierungen des Bewertens, anhand phraseologischer
Einheiten. In. SANDIG, B. (Hrsg.): EUROPHRAS ´92, Bochum, 549-596
PhDr. Jiøina Malá,
CSc., Ústav germanistiky, nordistiky a
nederlandistiky,
Filozofická fakulta
Masarykovy univerzity v Brnì, Arne Nováka 1, 660 88 Brno,
e-mail: jimala@phil.muni.cz, tel .: 541121376
Pøíspìvek vyšel ve Sborníku
z konference GESUS v Hradci Králové konané v únoru 2003:
Königgratzer Linguistik- und Literaturtage. Hrsg. von J. Berger und J. Korèáková. Gaudeamus 2003.
S. 307-312