PhDr. Jiøina Malá, CSc.

Department of Germanic, Nordic and Dutch Studies

Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

 

Stilistische Funktionen der Phraseologismen in publizistischen Textsorten

 

Stylistické funkce frazeologizmù v publicistických textových druzích

 

Stylistic functions of idioms in printmedia texts

 

Klíèová slova: frazeologizmy, stylistické funkce, konotace,  publicistické textové druhy, titulní story,  metafora, metonymie, obrazné stylistické prostøedky

 

 

Annotation: Der vorliegende Beitrag weist folgende Schwerpunkte auf: er konzentriert sich auf die Phraseologismen als feste Wortgruppen, er untersucht ihre stilistischen Konnotationen, ihre Rolle als sprachliche Bilder (Metapher, Metonymie u.a.) und ihre textbildenden Potenzen, und dies anhand der publizistischen Textsorte „Titelgeschichte“ des Wochenmagazins DER SPIEGEL.

 

Anotace: Pøíspìvek je zamìøen na tøi oblasti: frazeologizmy a jejich klasifikaci, stylistické funkce a  konotace frazeologizmù a textové druhy v souèasných printmédiích. Na pøíkladì textového druhu „Titelgeschichte“ (titulní story) z magazínu DER SPIEGEL se snaží postihnout stylistické a textové funkce obrazných frazémù (idiomù).

 

Stilistische Funktionen der Phraseologismen in publizistischen Textsorten

 

Als Phraseologismen (Phraseme, Phraseolexeme) gelten allgemein alle festen Wortverbindungen, die aus mehr als einem Wort bestehen (Polylexikalität) und (meistens) genau in der Kombination vorkommen, in der sie in der Sprachgemeinschaft (und in Wörterbüchern) gebräuchlich sind (Stabilität). Darüber hinaus weisen viele der Wortverbindungen die Idiomatizität auf, die darin besteht, dass die Wörter eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden, z.B.: Du solltest deine Aufgabe nicht auf die leichte/*rechte/*linke Schulter nehmen. (vgl. BURGER 1998, 11ff; HESSKY 1992, 79). Die Untergruppe der Idiome ragt durch ihre Bildkräftigkeit, die teil- oder vollidiomatisch begründet werden kann, besonders hervor. D. DOBROVOL´SKIJ (1995, 48:) bezeichnet Idiome als "reproduzierbare Wortkomplexe, die den Kernbereich des phraseologischen Systems ausmachen, indem sie zusätzliche Irregularitätsmerkmale in verschiedenen Kombinationen und mit einer unterschiedlichen Intensität aufweisen", solche wie z.B. Non-Kompositionalität, Allomorphie zwischen der formalen und semantischen Struktur, semantische Simplizität, syntaktische Undurchlässigkeit, Fixiertheit des Konstituentenbestandes, konnotativ-pragmatische Extension der Bedeutung, "poetische" Markiertheit der Form, unikale Konstituenten, die Unmöglichkeit der literalen Interpretation der entsprechenden Wortkette u.a." Die verbalen (jm. einen Bären aufbinden) sowie nominalen (alter Hase) Idiome bilden neben den Vergleichen (wie von der Tarantel gestochen) und Paarformeln (klipp und klar) den Kernbereich der Phraseologie, sie werden als Phraseme im engeren Sinne betrachtet.

Mit den stilistischen Aspekten der Idiome beschäftigt sich die Phraseostilistik, für die es in der Fachliteratur bis jetzt wenig Vorarbeiten gibt. Bei der stilistischen Beurteilung der Idiome werden traditionsgemäß ihre unterschiedlichen Konnotatationen reflektiert. Die Konnotierung der Phraseme ergibt sich daraus, dass sie an gewisse Stilschichten gebunden und mit verschiedenen stilistischen Markierungen (Stilfärbungen) verbunden sind, wodurch besondere Affektivität, Emotionalität und Expressivität hervorgerufen werden. (vgl. FLEISCHER 1997, 198). Die Idiome verfügen über einen semantischen Mehrwert und tragen zur Intensivierung und Veranschaulichung der Aussage bei, die dadurch überzeugender, griffiger und eindringlicher wird (vgl. SANDIG 1989, 387). Z. B.: das Idiom auf/aus dem letzten Loch pfeifen wirkt im Text oder im Dialog bestimmt expressiver als die Paraphrasierung "völlig erschöpft sein", weil es auf Grund des sprachlichen Bildes treffender und witziger ist. Die Idiome sowie ihre möglichen Abwandlungen (Modifikationen) bilden die Grundlage für verschiedene Sprachspiele, die Mittel für Humor, Spott, Satire oder Ironie darstellen. (vgl. RIESEL/SCHENDELS 1975, 90).

Im Unterschied zu Einzellexemen, für die die neutrale Stilschicht maßgebend ist, sind die meisten Idiome der umgangssprachlichen oder der saloppen bzw. derben Stilschicht zugeordnet (z.B. jm. ist eine Laus über die Leber gelaufen/gekrochen - "jd. ist über etw. verärgert"; die Saus rauslassen - "sich hemmungslos gehen lassen"). Andererseits weisen die Idiome auch gehobene bzw. bildungssprachliche Markierung auf (z.B. wie ein Phönix aus der Asche steigen - "verjüngt, neubelebt wiedererstehen"). (vgl. FLEISCHER 1997, 198ff). Die Idiome können jedoch noch feiner nuanciert werden: scherzhaft (im Adamskostüm sein), euphemistisch (Tüten kleben), hyperbolisch (sich die Augen ausweinen), ironisch (etw. passt wie die Faust aufs Auge). Die Idiomatik kann zeitlich, regional oder sozial gebunden werden, z.B. Jugendsprache: eine Schnecke angraben - "ein Mädchen kennen lernen und gewinnen".

Die Problematik der Konnotationen ist mit dem weiteren Schwerpunkt der Phraseostilistik eng verbunden: die Idiome treten meistens als sprachliche Bilder auf (rhetorische Tropen und Stilfiguren), die verschiedene Konnotierungen aufweisen können. "Hat man sich [...] über das Inventar rhetorischer Gestaltungsmittel wie Metapher, Metonymie, Hyperbel, Ironie usw. einmal einen ersten Überblick verschafft und betrachtet man vor diesem Hintergrund einige beliebige Redewendungen und feste Wortfügungen der deutschen Gegenwartssprache, so stellt man fest, dass rhetorischer Schmuck hier so geballt auftritt wie sonst nirgendwo in der gesprochenen oder geschriebenen Sprache. Dies gilt [...] nicht nur für die verschiedenen Formen der semantischen Übertragung, sondern auch für sprachliche Gestaltungsmittel auf syntaktischer und lautlicher Ebene." (DIETZ 1999, 3).

Die Idiome stellen auf Grund der ihnen zugrunde liegenden semantischen Übertragungsprozesse sprachliche Bilder dar, die man sowohl vom Standpunkt der traditionellen Rhetorik/Stilistik als auch der kognitiven Semantik und Psycholinguistik aus betrachten kann. Die "klassische" Rhetorik/Stilistik unterscheidet zwischen Tropen (Metapher, Metonymie, Synekdoche, Hyperbel, Litotes, Periphrase usw.) und syntaktischen Figuren (Oxymoron, Antithese, Klimax usw.). In beiden Bereichen kommen die Idiome zur Geltung.

Aus psycholinguistischer Sicht hat ein Idiom in vielen Fällen zwei lexikalisierte Lesarten, eine wörtliche und eine phraseologische, und es ermöglicht dem Sprachbenutzer durch seine Bildkräftigkeit (Bildhaftigkeit oder Bildlichkeit) eine ganze Reihe individueller Lesarten, die Aspekte der phraseologischen Bedeutung und der wörtlichen Lesart intergrieren können. (vgl. HÄCKI-BUHOFER 1999, 63). Zwischen den Begriffen Bildhaftigkeit und Bildlichkeit wird in der (Phraseo)Stilistik unterschieden: Als bildhaft werden anschauliche, sinnfällige Wendungen bezeichnet, die konkrete visuelle,taktile, olfaktorische oder auditive Vorstellungen hervorrufen. Bildlich sind die Idiome dann, wenn ihnen die metaphorischen, metonymischen u.a. Prozesse zugrunde liegen. "Unter Bildlichkeit sollte man bei Phraseologismen die synchrone Übertragenheit der Wortverbindung oder eines Teiles davon verstehen, die damit eine metaphorische Motivierung ermöglicht." (ebd., 65). Bei einigen Idiomen kann man beiden Merkmalen begegnen, z.B. das Idiom Öl ins Feuer gießen ("einen Streit noch verschärfen") ist auf Grund des visuell-konkreten Vorganges bildhaft/anschaulich und auf Grund der metaphorischen Übertragung bildlich.

Die Problematik der metaphorischen Übertragenheit ist ein kompliziertes Phänomen, das die kognitive Semantik zu lösen versucht. In der traditionellen Rhetorik/Stilistik spielen Metaphern und Metonymien (und ihre Subarten) eine zentrale Rolle. Die Metapher wird als Bedeutungsübertragung auf Grund der Ähnlichkeit (Sprungtropus auf Grund der Analogie) chrakterisiert, während die Metonymie eine Ersatzrelation in der semantischen Nähe darstellt

(von der "eigentlichen" Bedeutung zu einem Aspekt, der in realer Beziehung zum Ausgangspunkt steht). (vgl. DIETZ 1999, 47ff).

Die kognitive Semantik versteht die Metapher als Prinzip menschlicher Wahrnehmung und Wissensorganisation, als äußere Manifestation des inneren Vorgangs, nämlich des Denkens in Modellen und "Konzepten". (vgl. LAKOFF/JOHNSON 1980; 2002). Die kognitiven (über-, vorsprachlichen) Konzepte liegen den sprachlichen (lexikalischen und phraseologischen) Realisierungen zu Grunde. Das metaphorische Modell besteht in einem Ausgangsbereich (source domain) und einem Zielbereich (target domain), z.B. bei dem metaphorischen Kompositum Geldquelle ist der Ausgangsbereich WASSER(Quelle) und der Zielbereich (auf den hin projiziert wird) GELD. Wie aus dem oben erwähnten hervor geht, sind nicht alle Metaphern idiomatisch im Sinne von Polylexikalität. Als Metaphern treten Einzellexeme bzw. Komposita auf. Als metaphorisches Idiom kann man dann z.B. an der Quelle sitzen - "gute Bedingungen zu etw. haben, zu besonders günstigen Bedingungen in den Besitz von etw. gelangen". (vgl. BURGER 1998, 81ff). Auch die Metonymie bzw. Synekdoche als idiomatische Wendungen sind nicht zu vernachlässigen. Bei der Metonymie, die einen nicht minder produktiven imaginativen Prozess darstellt, steht ein Element für ein anderes Element aus derselben Domäne, während bei der Metapher Elemete aus zwei verschiedenen Domänen imaginativ in Beziehung gesetzt werden. Die Metonymie stellt also eine konzeptuelle Extension innerhalb der Grenzen einer Domäne dar. (vgl. FEYAERTS 1999, 140), z.B. Metonymie für DUMMHEIT: jd. hat Stroh/Sägemehl im Kopf.

Die Idiome mit ihren zahlreichen Konnotationen und vor allem als sprachliche Bilder (Metaphern/Metonymien) weisen textbildende Potenzen auf, sie machen sich geltend in verschiedenen Textsorten als wichtige textkonstituierende Mittel der Formulierungs- und Argumentationsunterstützung. (vgl. GRÉCIANO 1999; ABRAHAM 1996, 363ff).

Für die Untersuchung der text- und stilbildenden Funktionen der Idiome erweisen sich als bahnbrechend die Arbeiten von B. SANDIG, die auf ihre umfangreichen Erfahrungen mit stilistischen Phänomenen zurückgreifen kann. In den Vordergrund ihrer Untersuchungen stellt B. SANDIG die Prämisse, dass es nicht so sehr darum geht, welche Rolle die Phraseme als Stilelemente und Stilfiguren spielen, sondern wie sie im Rahmen der Handlungsstruktur der Textsorte eingesetzt werden, z.B. im Hinblick auf die Themen- und Handlungsstrukturierungsfunktion (Einleitung, Zwischenresumé, Zusammenfassung; Pointierung, Hervorhebung). Neben diesen Funktionen üben die Phraseme auch andere Funktionen aus wie Konkretisierung, Intensivierung durch sprachliche Bilder, Argumentieren, Anbiedern durch verschiedene Konntotationen, Abwandlungsmöglichkeiten. "Wohl immer haben Idiome Einstellungsausdrucksfunktionen (z.B. Bewerten, emotional Bewerten). Sie können aber auch zum Ausdrücken von Ironie (als Sonderform des Bewertens) verwendet werden, [...]." (SANDIG 1989, 395). Die Idiome als sprachliche Bilder mit ihren zahlreichen Konnotationen werden in ihren textbildenden Potenzen untersucht und in die Stilanalyse intergriert. B. SANDIG konzentriert sich in ihren weiteren Beiträgen auf den bewertenden Charakter von Idiomen, indem sie die Motivationszusammenhänge zwischen Phrasemen und Bewerten in den Erklärungszusammenhang der "Konzeptualisierungen" stellt (SANDIG 1991, 225ff; SANDIG 1994, 549ff). Dabei bezieht sie sich auf die Metapher-Konzeption von LAKOFF/JOHNSON (1980), die gezeigt haben, dass feste Metaphern/Metonymien bzw. andere Bilder in einer Sprache nicht zufällig sind, sondern dass es ganze Gruppen mit Systemcharakter gibt, die die konkrete Erfahrungswelt durch abstrakte Gegebenheiten "konzeptualisieren". "Metaphern sind ein wichtiges Mittel des Bewertens, und metaphorische Redewendungen haben ja vielfach auch bewertende Bedeutung." (SANDIG 1994, 552). Als Beispiele führt sie verschiedene Idiome an: mit zweierlei Maß messen, mit demselben Maß messen usw., die bei der bewertenden Kommentierung verwendet werden können.

Die Metonymien u.a. sprachliche Bilder beteiligen sich genauso wie Metaphern am Aufbau des Textes: Während jedoch die Metaphern die Wiederholung des Gleichen oder Ähnlichen darstellen, führen die Metonymien das Neue ein. (vgl. ROTHKEGEL 1999, 97).

Das stilistische Potential von Idiomen kann nur anhand von Textanalysen in verschiedenen Textsorten erarbeitet werden. Als besonders geeignet erweisen sich dazu die Textsorten im Bereich der Massenmedien. Als Beispieltext für die folgende kurze Analyse wurde eine der Titelgeschichten in DER SPIEGEL ausgewählt, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigen. Die Titelstory (DER SPIEGEL 20/1997, S. 114-129) widmete sich dem Thema Die Titanic - das unsinkbare Wrack, Mythos und Innbegriff der menschlichen Hybris. In diesem umfangreichen Text beteiligen sich die Idiome als Metaphern, Metonymien, Synekdochen in bedeutendem Maße an der Textprogression, sie gewährleisten die Kohärenz des Textes. Die reiche Metaphorik und Idiomatik zeugen auch von der Realitätserfahrung (Welterfahrung) und von enzyklopädischem Wissen, von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten und von kultureller Gewandheit der Autoren (vgl. GRÉCIANO 1999, 6ff).

Als Quellen-Bereiche der Metaphorik und Idiomatik erweisen sich in diesem Text mehrere Gebiete. Eng mit dem zentralen Thema verbunden ist der Bereich der Seefahrt: es geht um Meer, Schiff und Schiffbruch. Aus der Seemannssprache werden vor allem pragmatische Formeln in kommentierender Funktion verwendet, z.B.:

(1) 85 Jahre nach dem Desaster ist "Titanic"-Time, in allen Medien und mit allen Mitteln, in der wirklichen und in der virtuellen Welt, mit gehobenen Schätzen und versenkten Träumen: Ahoi, "Titanic", Leinen los. (116)

(2) Die oben im Lichte fanden leichter den Weg, die unten tappten

im Dunkel, alle standen vor dem Dilemma: "Frauen und Kinder zuerst" oder "Rette sich, wer kann". (125)

Stilistisch interessant sind hier auch die sprachlichen Kontraste (Antithesen).

Die See-Schiff-Metaphorik und Idiomatik wird auch auf andere Bereiche übertragen, z.B. auf die Domäne Kommunikation, Film- und Musikkunst:

(3) Und hohe Wellen schlägt die "Titanic" im Cyber-Ozean, im Internet. Alles über Mann und Maus an Bord ist da zu erfahren. (129)

(4) An New York Broadway lief mittlerweile eine "Titanic" nach Noten vom Stapel, als Musical... (116)

(5) Auf Kiel liegt noch die Hollywood-"Titanic", an der "Terminator"-Regisseur James Cameron dreht... (116)

Die "Titanic"-Katastrophe weist jedoch auch tiefere philosophische Dimensionen auf. Deshalb greifen die Texter auf die kulturellen Quellen der Bibel, der griechischen sowie germanischen Mythologie, um das Verhängnisvolle und Tragische zu betonen. Die Bibel liefert zahlreiche Gleichnisse für das geschehene Unglück, die vor allem in Anspielungen an die Arche Noah, aber auch als Unterstützung der These von der Versuchung Gottes und Blasphemie (Lästerung) sowie der Kritik der Klassengesellschaft zum Ausdruck kommen:

(6) Die blasphematische Übergröße... könnten ein Dorn im Auge Gottes gewesen sein. (121)

(7) Tatsächlich startete die "Titanic" als eine Art Arche Noah...

(121)

(8) Denn "drei Stockwerke" sollte die Arche haben, befahl der HERR dem Noah [...], "eins unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben." [...] Und da hinein gingen, auch biblisch, "Männchen und Weibchen von allem Fleisch". (121)

Der Einfluss der griechischen Mythologie ist in metaphorischen Anspielungen sichtbar, die eine wichtige topologische Funktion aufweisen:

(9) "Titanen" sind ... Söhne und Töchter des Uranos, ... die von ihm (Olymp-Gott Zeus - J.M.) in den "Tartaros" ... gestürzt werden. [...] Auch die "Giganten" ... hatten sich gegen den Olympier erhoben und waren von ihm in den Tartaros geschmettert. (119)

In Bezug auf die germanische Mythologie stehen die aus dem engelsächsischen Raum stammenden "Schöpfer" der "Titanic" im Vordergrund, die gewissermaßen mit "altgermanischen" Tugenden versehen werden. Die Anspielungen reichen vom Nibelungenlied über Götterdämmerung bis zu Nietzsches Übermenschen:

(10) Die Rauchsalon-Siegfriede der "Titanic" ... stammen zwar nicht in gerader Linie von den Nibelungen ab, ein Ring wurde ihnen postum dennoch durch die Nase gezogen. (127)

(11) Das größte, stolzeste Technik-Fanal seiner Zeit - von einem simplen Klumpen Natur gekillt. Nietzsches Übermensch - ganz ordinär ins Knie geschossen. Das ging global an die Nieren. (114)

Im oben erwähnten Beispiel haben wir noch mit weiteren stilistischen Phänomenen zu tun: mit der Metonymie bzw. Synekdoche und der Ironie, die für die Publizistik in DER SPIEGEL typisch ist. Interessant ist im Text die Nase-Synekdoche. Die Nase, die im menschlichen Gesicht deutlich hervorragt, stellt ein empfindliches Organ dar, das oft als erstes verletzt wird, daher die Assoziationen:

(12) Allein im Jahr 1903 stießen 20 Schiffe an dahintreibende Giganten (hier: Eisberge - J.M.); 12 der Blessierten versanken. 1907 drückte sich ein Deutscher die Nase ein, der Dampfer "Kronprinz Wilhelm", er kam davon. (116)

(sich die Nase eindrücken wird im DUDEN 11 als Idiom nicht gespeichert).

(13) Anderthalb Stunden saßen sie dann in der ersten Reihe, als vor ihren Augen die "Titanic" ihre hochmutige Nase immer tiefer steckte. (125) (Modifikation - die Nase hochtragen, Okkasionalismus).

Die untersuchte Titelstory weist einen überdurchschnittlichen Gebrauch an Metaphorik und Idiomatik auf. Bedeutend sind u.a. auch Anspielungen auf die soziale Problematik auf der "Titanic", denen Zitate aus Brechts "Dreigroschenoper" zugrunde liegen, oder die Anspielungen auf die aktuelle politische Situation. Vom stilistischen Standpunkt aus ist auch die Verwendung der umg. bis saloppen Idiomatik von großem Interesse, z.B.:

(14) [...] von den 16 Schiffs-Hauptköchen geben 15 den Löffel ab.

(114), die  mit der gehobenen Metaphorik

und Idiomatik kontrastiert und ironische Wirkung hervorruft.

Wie ersichtlich, ist das stilistische Potential von Idiomen sehr hoch, es handelt sich jedoch vor allem um modifizierte und okkasionelle Idiome, die  in reichem Maße zu verschiedenen Sprachspielen ausgenutzt werden, und um zahlreiche historische und kulturelle Anspielungen.

 

 

LITERATURVERZEICHNIS:

 

ABRAHAM, U. (1996): StilGestalten, Geschichte und Systematik der Rede vom Stil in der Deutschdidaktik. Tübingen

BURGER, H. (1998): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin

DIETZ, H.-U. (1999): Zur Bedeutung rhetorischer Elemente im idiomatischen Wortschatz des Deutschen. Tübingen

DOBROVOL´SKIJ, D. (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus deutscher Idiome. Tübingen

DUDEN, Bd. 11: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten, Mannheim etc. 1992

FEYAERTS, K.: (1999): Die Metonymie als konzeptuelles Strukturprinzip: eine kognitiv-semantische Analyse deutscher Dummheitsausdrücke. In: BAUR, CHLOSTA, PIIRAINEN (Hrsg.): Wörter in Bildern - Bilder in Wörtern, Baltmannsweiler, 139-176

FLEISCHER, W. (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache.2 Tübingen

GRÉCIANO, G. (1999): Sprach-, Text- und Weltwissen als Erklärung von Phraseologie. In: BRAVO, BEHR, ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, Tübingen, 1-14

HÄCKI-BUHOFER, A. (1999): Psycholinguistik der Phraseologie.

In: BRAVO, BEHR, ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, a.a.O., 77-89

HESSKY, R. (1992): Grundfragen der Phraseologie. In: ÁGEL, HESSKY (Hrsg.): Offene Fragen - offene Antworten in der Sprachgermanistik. Tübingen, 77-93

LAKOFF, G., JOHNSON, M. (2002): Metafory, kterými žijeme. Brno

RIESEL, E., SCHENDELS, E. (1975): Stilistik der deutschen Sprache, Moskau

ROTHKEGEL, A. (1999): Zur Metaphernfunktion von Phrasemen im Diskurs. In: BRAVO, BEHR, ROZIER (Hrsg.): Phraseme als typisierte Rede, Tübingen, 91-100

SANDIG, B. (1989): Stilistische Funktionen verbaler Idiome am Beispiel von Zeitungsglossen und anderen Verwendungen. In: GRÉCIANO (Hrsg.): EUROPHRAS ´88, Strasbourg, 387-400

SANDIG, B. (1991): Formeln des Bewertens. In: PALM, CH. (Hrsg.):

EUROPHRAS ´90, Uppsala, 225-252

SANDIG, B. (1994): Zu Konzeptualisierungen des Bewertens, anhand phraseologischer Einheiten. In. SANDIG, B. (Hrsg.): EUROPHRAS ´92, Bochum, 549-596

 

 

 

PhDr. Jiøina Malá, CSc.,  Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky,

Filozofická fakulta Masarykovy univerzity v Brnì, Arne Nováka 1,  660 88 Brno,

e-mail: jimala@phil.muni.cz, tel .: 541121376

 

Pøíspìvek vyšel ve Sborníku z konference GESUS v Hradci Králové konané v únoru 2003:

Königgratzer Linguistik- und Literaturtage. Hrsg. von J. Berger und J. Korèáková. Gaudeamus 2003.

S. 307-312