PhDr. Jiøina Malá, CSc.

Department of Germanic, Nordic and Dutch Studies

Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

 

Textsorte „Reportage“ in deutschen und tschechischen Printmedien. Ein stilistischer Vergleich

 

Textový druh „reportáž“ v nìmeckých a èeských printmédiích.

Stylistické srovnání

 

Klíèová slova: publizistische Textsorten, Reportage, Stilmittel und Stilfiguren

 

Annotation: Der vorliegende Beitrag setzt sich das Ziel, die publizistische Textsorte „Reportage“ am Beispiel der aktuellen Reportagen zum Thema „Flutkatastrophe 2002“ aus dem deutschen Nachrichtenmagazin FOCUS (Nr. 35, 26. August 2002) und dem tschechischen Wochenmagazin TÝDEN (Nr. 34, 19. August 2002) einer kontrastiven stilistischen Analyse zu unterziehen.

 

Anotace: Èlánek navazuje na pøíspìvky ke srovnávání textových druhù v publicistice uveøejòovaných v BBGN, tentokrát je pozornost vìnována textovému druhu „reportáž“. Stylistickému zkoumání a srovnání jsou podrobeny reportáže s aktuálním tématem „povodnì 2002“ v nìmeckém magazínu FOCUS a v èeském èasopise TÝDEN.

 

Textsorte „Reportage“ in deutschen und tschechischen Printmedien. Ein stilistischer Vergleich

 

1. Einleitung

 

     Der vorliegende Beitrag setzt sich das Ziel, die publizistische Textsorte „Reportage“ am Beispiel der aktuellen Reportagen zum Thema „Flutkatastrophe 2002“ aus dem deutschen modernen Nachrichtenmagazin FOCUS (Nr. 35, 26. August 2002) und dem tschechischen Wochenmagazin TÝDEN (Nr. 34, 19. August 2002) einer vergleichenden stilstischen Textanalyse zu unterziehen. Die Aufmerksamkeit wird den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der textlichen und sprachlichen Gestaltung der Reportagen gewidmet, vor allem in Bezug auf den Aufbau der Textsegmente, auf die wichtigsten Stilelemente unter besonderer Berücksichtigung Expressiver Stilmittel (Idiomatik, sprachliche Bilder: Metapher, Metonymie etc.).

     Zunächst beschäftigt sich der Artikel mit den theoretischen Auffassungen zur Textsorte „Reportage“.  Die konkrete journalistische Praxis unterscheidet sich jedoch oft von den theoretischen Charakteriserungen und Grenzsetzungen. Inwieweit das theoretische Modell der Reportage mit konkreten Texten in deutschen und tschechischen Printmedien übereinstimmt oder auseinandergeht, und ob es unterschiedlich in der deutschen und tschechischen Presse gehandhabt wird, möchte der vorliegende Beitrag überprüfen.

 

2. Journalistische Textsorte „Reportage“

 

     Die Textsorte „Reportage“ gehört traditionsgemäß zu den informationsbetonten Textsorten neben „Meldung“,  „Nachricht“ oder „Bericht“. Als Hauptverfahren gilt also das Berichten. Die Reportage ist jedoch eine besondere Darstellungsform des Berichtens – Berichten mit Phantasie (vgl. BUCHER 1986, 130). Sie bietet dem Journalisten einen größeren Spielraum bei der Informationsbeschaffung, der Themenauswahl, der textlichen und sprachlichen Realisierung an. „Von allen Formen des Berichtens ist sie deshalb am wenigsten standardisiert und am engsten Mit dem alltäglichen Erzählen verwandt.“ (ebd.). Die Gestaltungsmöglichkeiten weisen eine große Vielfalt auf, so dass man sogar von einer literarischen Kunstform Sprechen könnte.[1]  Das Besondere an dem Berichten in der Reportage ist eine konkrete, stark persönlich gefärbte Geschehens- oder Situationsdarstellung, die mit der Persönlichkeit des Reporters (sein Temperament, persönliches Engagement, sprachliche  Gewandheit) verbunden ist. Dies kann als Prinzip der perspektivischen Darstellung bezeichnet werden. Der Reporter präsentiert die Geschehnisse aus der subjektiven Perspektive, es geht zwar um Mitteilungen, sie werden jedoch unter dem Einfluss individueller Erfahrungen, Erlebnisse und Recherchen wiedergegeben, wobei der Standpunkt des Berichtenden deutlich gemacht wird. Der Reporter also beurteilt, kommentiert und analysiert zugleich. Dabei bedient er sich rhetorisch-stilistischer Mittel, die das Berichtete anschaulich, emotional gefärbt, expressiv, spannend, pathetisch, provozierend, scherzhaft oder ironishc hervortreten lassen (das sog. Delectare-Prinzip, das zur Unterhaltung der Leser beitragen soll).[2]  Dieskann jedoch bis zur Tendenz führen, eine gewisse Sensationslust befriedigen zuwollen, und aus der Reportage  kann dann eine billige, dem Boulevard ähnlicheMassenware werden, in der sich der Reporter mehr oder weniger zu exhibieren pflegt.

     Es sollte also stets beachtet werden, dass in der Reportage der Informationsanspruch im Vordergrund steht und die literarisch-ästhetischen Gesichtspunkte eine sekundäre Rolle spielen. „Allgemeines Qualitätskriterium einer Reportage ist demzufolge die funktionale und zweckgebundene Nutzung reportagetypischer Darstellungsmöglichkeiten im Rahmen des Informationsanspruchs öffentlicher Berichterstattung.“ (BUCHER 1986, 133)

     Dieser Widerspruch zwischen der informationsbetonten Berichterstattung und dem Streben nach der phantasiebetonten individuellen Darstellungsweise lässt sich nach BUCHER auf zweierlei Weise in Angriff nehmen: Erstens können Reportagen als Zusatzangebote zu den Berichten und Meldungen über tagespolitische Ereignisse gebracht werden.  Zweitens lassen sich Berichtpassagen  in eine Reportage integrieren, mit denen die dargestellten persönlichen Eindrücke, Erlebnisse und Recherchen in weitergehende soziale, politische und historische Zusammenhänge gestellt werden. (vgl. ebd.).

3. Typen und Aufbau der Reportage

 

     H.-J.  BUCHER (1986, 134f) geht bei der Typologisierung der Reportagen von zwei Prinzipien aus: dem Prinzip der perspektivischen Darstellung und dem Delectare-Prinzip.

     Er unterscheidet in Bezug auf die Handlungsperspektive zwischen der Augenzeugenperspektive, der Perspektive des teilnehmenden Beobachters und der  Insider-Perspektive. Diese Perspektiven sind für die Reportageeröffnung wichtig und können als szenischer Einstieg  bezeichnet werden.

     Die Realisierung der Augenzeugenperspektive geschieht durch die Angabe des Beobachterstandpunktes und durch die Beschreibung, wie das Berichtete von angegebenen Standpunkt aus aussieht. Der Reporter spielt hier die Rolle eines distanzierten Augenzeugen, und durch die Behandlung des Ereignisses „von oben herab“ aus der „Vogelperspektive“ kommen meistens die kritische Distanz oder Geringschätzung zum Ausdruck.

     Die Perspektive des teilnehmenden Beobachters wird durch die Beschreibung des Schauplatzes (der szenische Einstieg) eröffnet  und durch die Referenz-Ausdrücke realisiert, die von der persönlichen Beteiligung des Reporters zeugen, und die nicht nur sein szenisches Wissen, sondern auch sein politisches Engagement beweisen.

     In der Rollenreportage ist der Reporter selbst Akteur der Ereignisse, er handelt aktiv, fühlt sich betroffen und knüpft Beziehungen mit anderen Teilnehmern an.

     H. BURGER (1990, 337) unterscheidet drei makrostrukturelle Textebenen, die für die Reportage konstitutiv sein können:

- die Vor-Ort-Ebene

- die Personenebene

- die Dokumentationsebene

Davon leitet sich die folgende Reportagen-Typologie ab, die teilweise mit der Perspektive des Mitteilens identisch ist:

  1. Vor-Ort-Reportage
  2. Rollenreportage
  3. Hintergrundreportage[3]

     Als Vor-Ort-Reportage treten z.B. Reportagen über Reisen auf, die Reporter (Korrespondenten)  bedienen sich  Filmtechniken (filmische Verfahren wie Szenen), stützen sich auf literarische Traditionen (emotionale Schilderungen der Erlebnisse, in denen sich physische sowie psychische Erfahrungen widerspiegeln).

     In  der Rollenreportage, in der der Reporter sich selbst betroffen fühlt und eingewickelt sieht, kommen Zitate der beteiligten Personen in direkter Rede vor, so dass oft Umgangssprachliches oder Mundartiges verwendet wird. Es werden offizielle  Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur zitiert.

     Die Hintergrundreportage (Dokumentationsebene) schließt Hintergrundwissen des Reporters ein, d.h. dass statistisches Material, Zahlangaben, historisches Dokumentationsmaterial, das oft Resultat einer aufwendigen

Recherchearbeit des Reporters darstellt, Bestandteile der Reportage bilden.

     In der „klassischen“ Reportage könnten alle drei Ebenen (Typen) vorkommen. Die heutige journalistische Praxis ist sehr flexibel, deshalb kann man oft  zwei- bzw. dreidimensionalen Reportagen oder verschiedenen „Mischformen“ in den Printmedien begegnen. Es ist jeweils am empirischen Material zu überprüfen.

     So ist der Text der Reportage „eine raffinierte Kombination narrativer, deskriptiver und argumentativer Textbildung, die sich mikrostrukturell im Wechsel von berichtenden und erzählenden Tempora, im Wechsel von direkter, indirekter Rede und Formen des Redeberichts zeigt, im Wechsel auch der Modi usw. …“ (BURGER 1990, 346). Es werden zahlreiche stilistische Mittel verwendet, die zur Expressivität und Bildkräftigkeit beitragen: reiche Synonymik, Kraftausdrücke unterschiedlicher Stilmarkierungen von den gehobenen, positiven, exklusiven bis zu derben, pejorativen, vulgären; sprachliche Bilder wie Metapher, Metonymie, Periphrasen, syntaktische Figuren  der Wiederholung, Entgegensetzung oder Häufung; Phraseme, Idiome, Sprichwörter, verschiedene Sprachspiele und Anspielungen.



[1]  Die Reportage als literarische Kunstform, als „Kronjuwel journalistischer Formen“ (BURGER

1990, 336) mit Anwendung literarisch-künstlerischer Gestaltungsmittel, hat sich besonders in den

zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss von E.E. KISCH,

K. TUCHOLSKY u.a. entwickelt.

[2]  Mit den Grundproblemen der Reportage setzen sich theoretisch z.B. H.-H. LÜGER (1995),

H. BURGER (1990) oder H.-J. BUCHER (1986) auseinander. H.-J. BUCHER (1986, 130f)

stellt  die beiden Prinzipien: das Prinzip der perspektivischen Darstellung und das Delectare-

Prinzip in den Vordergrund.

[3]  H. BURGER stützt sich auf das Reportage-Modell von M. MÜLLER (Schweizer Pressereportagen. Eine linguistische Textsortenanalyse. Aarau 1989)  sowie an BUCHER (1986), dessen Typologie er kritisch fokussiert.